Daniel Kehlmann - Ruhm
Inhalt: Noch ein personell locker und thematisch eng verknüpfter Episodenroman: Der Schauspieler Ralf Tanner verliert seine Identität, weil jemand anders seine Handynummer erhält und er selber beim Imitationswettbewerb nur Zweiter wird. Schriftsteller Leo Steiner langweilt sich auf Vortragsreisen durch Südamerika und würde viel lieber das scheinbar aufregende Leben seiner in Krisengebieten als Ärztin tätigen Freundin Elisabeth leben (oder lieber nicht). Seine Figuren, die todkranke Rosalie und die reisende Ärztin Lara entwickeln dagegen ein mysteriöses Eigenleben. Derweil geht Steiners Kollegin, die Krimiautorin Maria Rubinstein, bei einer ähnlichen Reise in Zentralasien gänzlich verloren. Büro-Geek Mollwitz dagegen notiert in den kruden Worten eines Forenposts seine Erlebnisse auf einer Tagung, die nach der Begegnung mit eben jenem Leo Steiner völlig daneben geht. Sein Chef wiederum laviert zwischen Fernbeziehungs-Ehe und lokaler Liebschaft, bis sich plötzlich unüberbrückbare Probleme häufen. Und schließlich landen wir nochmals bei Elisabeth und Leo, diesmal direkt im Kriegsgebiet...
Kommentar: Na, vieles wurde schon über diesen Roman geschrieben und über sein Spiel mit Fiktion und Metafiktion, der einige Kritiker ja glatt eher abgeschmackten Postmodernismus vorgeworfen haben, über seinen Umgang mit moderner Kommunikationstechnik und eventuelle Bezüge zu Kehlmanns Karriere selbst (jaja, die alte Malesche, wenn Schriftsteller über Schriftsteller schreiben und so). Insofern kann ich hier ganz bequem auf diesen Diskurs verweisen, anstatt hier meine eigene Interpretation auszubreiten.
Ansonsten liest sich der Text ziemlich flüssig, unterhaltsam und gut ausbalanciert, sodass ich das hier definitiv weiterempfehlen kann.
Eine Sache, an der dennoch natürlich aus heutiger Sicht eingehakt werden muss: Die Technik. Wie erwähnt stehen ja Mobiltelefone ziemlich im Mittelpunkt der Handlung, und es wird natürlich deutlich, dass Kehlmann bei diesem Begriff noch an die Vor-Smartphone-Zeit denkt. Ein paar Jahre später wäre die Handlung angesichts der gewachsenen Fähigkeiten und Omnipräsenz solcher Geräte so vermutlich gar nicht mehr möglich gewesen, zumal längst stärker über Bilder denn über Worte kommuniziert wird und sich viele der Verwicklungen hier so gar nicht erst ergeben bzw. viel eher aufgeklärt hätten. Ob sowas verhindert, dass "Ruhm" ein zeitloses Buch sein könnte? Ebenfalls amüsant ist natürlich noch Mollwitz' Beitrag, der ebenfalls an längst vergangene Zeiten des Internet erinnert. Auch das würde sich heutzutage nicht mehr in einem Forum abspielen, sondern komplett auf Social Media - und auch hier einen anderen Ausgang bzw. Verlauf nehmen.
Henning Mankell - Die italienischen Schuhe
Inhalt: Der ehemalige Chirurg Frederik Welin hat sich nach mehreren Rückschlägen in die fast totale Isolation auf eine Schäreninsel, die schon seinem Großvater gehört hat, zurückgezogen: Vor Jahren hatte er einer Patientin versehentlich den falschen Arm amputiert. Hinzu kommt noch die viel länger zurückliegende Geschichte: Seine Verlobte Harriet hatte er vor einem Studienaufenthalt im Ausland unvermittelt sitzen gelassen. Nun steht aber eines Wintermorgens gerade jene Harriet, gealtert, alkoholsüchtig und schwer krank, vor der Tür und fordert von Frederik, ein Versprechen einzulösen: Das nächtliche Bad in einem pechschwarzen Waldsee in Nordschweden. Im Bewusstsein, seiner Vergangenheit nicht (mehr) entkommen zu können, macht sich Welin also doch auf die Reise... und entdeckt noch so einiges mehr.
Kommentar: Offenkundig handelt es sich hierbei um (a) keinen Krimi, aber dass Mankell auch über andere Sachen als Kommissar Wallander geschrieben hat, dürfte hoffentlich bekannt sein, und (b) um so eine Art Alterswerk. Krankheit, Sterblichkeit, Tod und Verfall einerseits sowie Erinnerungen, Lebensgeschichten und diese durchziehende Kausalitäten andererseits sind die zentralen Themen dieses Romans, zusammengefasst schließlich zur Frage nach der Unentrinnbarkeit von Schicksal und Verantwortung. Was dann auch schon der größte Reiz an der Story wäre, denn zwar erzählt Mankell ziemlich routiniert, lässt seine Figuren aber auch mit Makeln und Unzulänglichkeiten behaftet sowie tendenziell unsympathisch erscheinen, sodass Identifikation eher schwer fällt. Na ja, und der Titel ist schon etwas weit hergeholt. Der Nebenplot um einen exklusiven und uralten Schumacher, der aus Italien nach Nordschweden umgesiedelt ist und für die Prominenz der Welt pro Jahr 2-3 Schuhe von Hand anfertigt, wirkt da ziemlich surreal und innerhalb der Handlung wie ein bizarrer Stilbruch.
Rocko Schamoni - Fünf Löcher im Himmel
Inhalt: Paul Zech, 66 Jahre alt, hat nach der Zwangsräumung seiner Wohnung eigentlich alles verloren - bis auf seine in einem Tagebuch niedergeschriebenen Erinnerungen an die Schulzeit. Und darin stöbert er, während er zugleich halbkriminell im Datsun 240Z seiner spontanen Kneipenbekanntschaft Pocke durch Norddeutschland stromert und sich verschiedentlich als Zechpreller oder in verlassenen Ferienwohnungen durchschlägt. Denn damals, im Sommer 1966, verliebte sich Paul während der Probe zu einem Schultheaterstück in Mitschülerin Katharina und seine Lehrerin Frau Zucker zugleich, musste aber ebenso die wechselseitige Eifersucht zu Hauptdarsteller und Nebenbuhler Franz Keil sowie den alkoholischen Verfall seines Vaters erdulden. So schwebt dann auch hier über allem die Frage: Wie bin ich der geworden, der ich heute bin?
Kommentar: Das ist nach "Tag der geschlossenen Tür" erst mein zweiter Schamoni-Roman, aber auch hier liegen Parallelen auf der Hand: Die eigenbrötlerische, distanzierte Hauptfigur, die norddeutsche (und dänische) Provinz zwischen Rømø und Schillig, der leichte Hang zur Anarchie. Dabei ist "Fünf Löcher im Himmel" allerdings weitaus melancholischer und ernster ausgefallen. Gerade auch die Tagebucheinträge sind in der Ausleuchtung der jugendlichen Psyche sehr, sehr stichhaltig, zumal Schamoni hier zwar - gänz ähnlich wie Kollege Heinz Strunk in "Fleckenteufel" oder "Junge rettet Freund aus Teich" - einen sensiblen Außenseiter, aber - genau anders als eben Strunk - keinen völligen Freak porträtiert. Zwar ist diese Form der Darstellung natürlich auch ein wenig abgegriffen, ergänzt dafür aber ganz gut die um einiges abgehobenere Handlung in der Gegenwart, die dann wiederum - wohl auch aufgrund des Wechsels der Erzählperspektive - ein wenig hölzern geschrieben ist. Es ist also genau dieser Gegensatz, der "Fünf Löcher im Himmel" eine gewisse Stärke verleiht und auch die inhaltlichen Aussagen unterstreicht, denn beides für sich genommen wäre wohl weniger bemerkenswert gewesen.
Rocko Schamoni - Sternstunden der Bedeutungslosigkeit
Inhalt: Michael Sonntag lässt sein Kunststudium schleifen, lebt in den Tag hinein und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Plakatekleber, Roadie und schließlich Thekenkraft durch. Dazwischen liegen ein bisschen Anarchie, Begegnungen mit allerlei Gesindel, Affären und Sex, noch mehr Gedanken und Grübeleien über die Welt und das Leben an sich, aber eigentlich sucht Sonntag nur den Draht zu seiner angehimmelten Nachbarin, der Escort-Dame Mia.
Kommentar: Das ist wohl der Vorgänger zum letztes Jahr gelesenen "Tag der geschlossenen Tür" und teilt mit diesem auch viele Gemeinsamkeiten. So gibt's in beiden Romanen surreale Dialoge mit toten Tieren (hier: Ein samt Aquarienwasser getrunkener Guppy, dort eine tote Fliege) und diverse bizarre Eskapaden. Trotz einigem Humor werde ich aber auch hiermit nicht so wirklich warm. Vieles, über das Schamoni hier referiert, wirkt eher beliebig und so ziellos wie der Protagonist und ist darüber hinaus sprachlich und stilistisch eher banal umgesetzt. Gut - bei einem solchen Titel sollte man wohl nichts anderes erwarten. Na, Schwamm drüber.
Terry Pratchett - Schöne Scheine
Inhalt: Postminister Feucht von Lipwig langweilt sich - gut, dass Patrizier Vetinari noch andere Baustellen in Ankh-Morpork kennt, für die Lipwigs Talent zur Improvisation bestens geeignet ist. Diesmal an an der Reihe: Die Münzanstalt und die daran angeschlossene Bank, und auf kuriosen Umwegen wird Lipwig doch noch zum Direktor dieser Einrichtungen gemacht. Und auch hier gibt es allerhand zu erledigen: Renitentes alteingesessenes Personal in Gestalt von Hauptkassierer Mavolio Beuge, raffigierige Anteilseigner in Gestalt von Familie Üppig rund um den besessenen Möchtegern-Vetinari Cosmo, die mit Verlust arbeitende Prägeanstalt. Wirklich ernst wird es aber erst, als sich herausstellt, dass das zur Deckung des Ankh-Morpork-Dollars vorgesehene Gold aus dem Tresor der Bank plötzlich verschwunden ist...
Kommentar: Dieser Scheibwenwelt-Roman führt im Wesentlichen die Linie seines Vorgängers "Ab die Post" fort: Auch hier wird eine Einrichtung der Realität erst in dieses Universum transferiert und dort dann durch Lipwigs Gewitztheit, Vetinaris Kalkül und die sonstigen vorwiegend magischen Eigenarten dieser Welt gehörig durch die Mangel gedreht. Das ist an sich nichts Neues, aber auch hier auf hohem Niveau unterhaltsam, wobei die eigentliche Würze wieder mal in den ganzen Nebenfiguren und -handlungen liegt. Im Vergleich zu sonstigen Romanen war daneben noch eigenartigerweise zu bemerken, dass sich die Handlung hier eher langsam aufgebaut hat, dass also die tatsächlichen Konflikte und relevanten Aspekte und Motivationen erst spät zutage traten, dann aber in umso gewaltigerer Form. Vielleicht lag gerade das am Umgang mit der qua Prämisse der Handlung kaum zu vermeidenden Ähnlichkeit zu "Ab die Post", von der sich Pratchett somit zwar nicht völlig lösen, die er in einigen Punkten aber dennoch eben geschickt ausgeräumt hat.
Bei mir hat diese Lektüre übrigens durchaus wieder Interesse an der Scheibenwelt geweckt. Eigentlich hatte ich diese Sachen ja von ca. 2006-2008 wie besessen gelesen, danach ist mein Eifer aber erlahmt... und jetzt stelle ich fest, dass ich doch noch einiges aufzuholen habe. Mal schauen.