Wenn man sich öffentlich (...und ja, auch ein kleines kommerzielles Konzert
ist öffentlich!) so daneben benimmt wie Phil Anselmo damals, dann muss man zurecht damit leben, dass man für seine Worte und andere Handlungen zur Rechenschaft gehalten und - gerade im Zeitalter so rapider wie nachhaltiger Massenverbreitung von Bild/Ton-Aufzeichnungen - auch Jahre oder Jahrzehnte später noch darauf angesprochen wird; was einer so langjährig in diversesten Medien stattfindenden Bühnen- und Rampensau wie Anselmo bereits auch damals längst bewusst sein musste, selbst noch im besoffenen Zustand bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Das muss man (nicht nur, aber gerade) als Szenestar einfach hinnehmen.
...was immer "klassische Cancel-Culture" auch sein mag; aus meiner Sicht: Erst einmal ein seitens der extremen Rechten geprägter Kampfbegriff, den sie geschickt in den Mainstream lancieren konnten, um dahinter ein kreidefressend auf naiv gemachtes "mimimi" über die ethisch eigentlich selbstverständliche Tatsache, dass man für selbst getätigte Aktionen auch selbst verantwortlich ist und diese seit jeher in der überlieferten Menschheitsgeschichte auch soziale Reaktionen zeitigen, zu verbergen - und dass man hinter dieser begrifflichen Fassade dann "Respekt" für eigene Positionen einfordert, während man andererseits keinerlei Toleranz gegenüber anderen Positionen pflegt; dann aber auch ein kompletter Anachronismus, der verkennt, dass es "Canceln" lange Zeit vor diesem Kampfbegriff bereits gab, ebenfalls seit jeher in der überlieferten Menschheitsgeschichte, und dass dieses Verhalten früher weitaus verbreitetere (Mainstream-) "Kultur" war, nämlich durch eben jene privilegierten Kreise der Gesellschaft, für die (und gegen deren vorgebliche "Unterdrückung") die extreme Rechte nun zu sprechen vorgibt, gegenüber jenen, deren soziale Rechte und Teilhabe sie nach wie vor - wo es nur geht - zu beschneiden, zurückzudrängen, lächerlich zu machen, herabzusetzen versucht - aber jeglichen (privaten wie öffentlichen, spontanen wie organisierten, selbst non-parteipolitischen wie auch non-govermentalen Gegenwind zum "Verbot" oder "Zensur" zu stilisieren versucht, als drohe ihnen ein autoritär-totalitärer Staat oder gar eine "Diktatur" auch nur annähernd solche Sanktionen an, wie sie den Opfern der historischen "Cancel-Culture" von Rechtsaußen bis weit in die Mitte der Gesellschaft (und dazu im Gegensatz zu heute weitaus stärker juristisch sanktioniert!) auch noch "ganz normal demokratisch" gedroht haben; kurzum, die sogenannte "Cancel Culture" ist ein durch und durch doppelzüngiger, durchtriebener, heuchlerischer, bestenfalls naiv übernommener, schlimmstenfalls strategisch eingesetzter und verlogener Begriff. Diese Floskel wäre komplett lächerlich, hätte das Lachen darüber keine verharmlosende Wirkung gegenüber den gesellschaftsklimatischen Folgen für traditionell diskriminierte Minderheiten und deren Unterstützer.
Das Lamentieren über die Kritik am Konzertveranstalter ist sinnlos hochgekocht worden.
Was ist denn überhaupt passiert?
Kurze Rekapitulation der Ereignisse:
1. Das Festival mit Pantera ist angekündigt.
2. Manchen gefällt das, anderen aber nicht.
3. Einige haben deswegen sich bei den Veranstaltern beklagt.
4. Die Veranstalter halten klärende Rücksprache mit der kritisierten Band.
5. Die Veranstalter bestehen auf ihrem Programm.
6. Einigen gefällt das immer noch nicht.
7.
Die Veranstalter bleiben bei ihrem Vorhaben.
8. Eine weitere Band mit hoher Reichweite
springt den Veranstaltern bei.
9. Das Festival mit Pantera findet aller Voraussicht nach wie geplant statt.
10. Niemand nimmt dadurch Schaden.
So weit, so offene Gesellschaft.
Es gibt kein Canceln - nicht einmal annähernd!
Ich finde, das sollte man FLINTAs und BIPOCs überlassen, wie sie sich
fühlen; diesbezüglich
irgendwem Vorschriften zu machen, das finde ich generell ziemlich daneben - und es bewirkt auch nichts außer eben eingeredete Komplexe oder abwehrendes Trotzverhalten, dient letztlich niemandem (außer Arschlöchern, die eben das damit bezwecken).
Dieser Pantera-Songtext a) entstand vor dem aktuell kritisierten Verhalten Anselmos, b) klagt zwar tatsächlich über das Verharren in Vergangenem und die Engstirnigkeit von Menschen, c) beklagt er das auf
allen Seiten, d) prangert jedoch dezidiert und explizit das
Sichverstecken einer durch die Mehrheitsgesellschaft diskriminierten Minderheit
hinter diesem Fakt an, der selbige
tatsächlich beschädigt hat - während die
Gegenseite jedoch diesen
Fakt abstreitet und damit überhaupt gar
kein Verstecken dahinter möglich ist. Im Gegensatz zu den Rechte einfordernden Schwarzen können sich die Rechte abstreitenden Weißen jedoch in der Mehrheitsgesellschaft sicher versteckt halten, ohne dadurch an Rechten einzubüßen: Hier wird also aus ungleichen Positionen heraus und auch mit ungleichen Waffen gekämpft; eine Tatsache, die der Songtext völlig ausblendet. Das ist zwar längst kein Nazitext, aber die Absage an deren Positionen erscheint nicht ungetrübt von unterschiedlichen Maßstäben und auch nicht in der Sache scharf genug, um von einer entschieden antifaschistischen Abgrenzung sprechen zu können. Plus: Die aktuell wieder kritisierten, bühnen(-un-)reif Rassismen fortschreibenden Handlungen Anselmos erfolgten
nach seinem songwriterischen Lippenbekenntnis.
Ja, das täte der - im Kern berechtigten - Debatte freilich gut!
Ja, nun; wie bricht so etwas hervor? Sicherlich begünstigt durch Alkohol, der bekanntlich soziale Filter wegnimmt, aber auch rationales Denken hemmt, einen Rückfall in alte Muster (selbst "eigentlich" verstandene) provozieren kann. Die eigentlich wichtigere Frage lautet für mich aber: Wie gelangt sowas nicht nur hinein (soziales
upbringing + eigenes Zutun) - sondern
bleibt auch drin? Das wird mit Reflektionsfähigkeit (kognitiv wie emotional) zu tun haben; aber auch mit
situationaler Bewertung - und da macht es dann eben doch einen feinen Unterschied, wie jemand einerseits
(in einem bestimmten
Kontext) meint, handeln zu
dürfen, gegenüber dazu, wie diese Person
grundsätzlich glaubt, handeln zu
sollen. Genau darin liegt der Unterschied zwischen
menschlich fehlbarem äußerem Verhalten und
innererer ethisch-ideologischer Überzeugung. Dass der Mensch ein in sich immer auch widersprüchliches Wesen ist, sollte man zugrunde legen, wenn man versucht, von
Handlungen auf
Überzeugungen zu schließen. Letztlich sieht man Menschen immer nur vor den Kopf; alles andere bleibt
(begründbare!) Vermutung.
Leute wie Anselmo
damals ganz sicher; mir hat das lange Zeit auch den Genuss von DOWN verleidet...
...zu Anselmo
heute weiß ich zu wenig, habe seither jedoch keine aufrührerischen oder spalterischen Aussagen von ihm vernommen.