SirMetalheads geographische Metal-Expeditionen

Ich bin absolut begeistert von allem, was du hier geschrieben und gestaltet hast. Auf so einen Thread habe ich lange gewartet! Ich mag es persönlich einfach nicht gerne, wenn Alben oder meinetwegen auch Songs in ein paar wenigen Zeilen, schlimmstenfalls nach Baukastenprinzip, abgearbeitet werden (ohne jemandem hier im Forum damit auf die Füße treten zu wollen - jeder nach seinem Belieben). Tausend Dank! Endlich wieder ein Thread, der es wert ist, wiederholt gelesen (und dabei genossen) zu werden. Fantastisch! Hier steckt eindeutig wirkliche Leidenschaft dahinter - und viele Stunden Arbeit! Mach bitte weiter. Ganz große Klasse: mega-informativ und Herzblut en galore! Chapeau!
 
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Ja lässig, sehr gute Idee! Und tolle Auswahl des ersten Songs, genau aus solchen Gründen gefiel mir der Song damals schon so gut, war einige Jahre einer meiner Favoriten. Lag sicherlich auch daran, dass ich damals grad aus Berlin nach Österreich ausgewandert war, aber die Frage nach Themen wie "Heimat" und "Glück/Zufriedenheit" lag mir damals sehr nahe. Bzw. liegt sie eigentlich noch immer.
Auch habe ich in den letzten 20 Jahren immer wieder mal spezifisch nach folkloristisch beeinflussten Bands gesucht, teils aus bestimmten Ländern, weil mich interessiert hat, wie sie das umsetzen, was aus der Musik spricht, welches Selbst- und Heimatgefühl sich dabei mitempfinden und ableiten ließe usw. Allerdings nicht nur im Metal. War so schon schwer genug, halbwegs authentisch wirkende, nicht-dilettantische, aber auch nicht überladene Sachen zu finden.

Bevor ich dazu noch mehr Kram aufschreibe, der mir grad in den Sinn kommt, lasse ich es hier mal sein.
Kann ja mal die Bands auflisten, die mir zum ggst. Thema in den Sinn kommen.

Danke an @SirMetalhead für die Ausarbeitung und die Erinnerung an diesen tollen Song. Gleich mal wieder gehört, berührt mich fast ebenso wie früher. Interessant, dass du als Geowissenschaftler-Kollege ebenfalls Interesse an diesen Themen hast.
 
Puh, musikalisch waren die 15 Minuten für mich eine äußerst anstrengende Grenzerfahrung, aber bei so viel Liebe und Herzblut bei der Präsentation MUSSTE ich einfach durchhalten. Hier schau ich auf jeden Fall regelmässig rein, thumbs up, @SirMetalhead!!
 
Danke für euer Feedback und das Lob, das freut mich wirklich zu hören!

Hatte mir schon gedacht, dass der Song zum Einstieg sicherlich nicht den ultimativen Nerv des Forums trifft, aber er hat einfach inhaltlich zu schön zum Thema gepasst. Der zweite wird definitiv mehr Konsens-Potenzial haben. Hoffe, den in den nächsten Tagen anfügen zu können.
 

Arkona - На Моей Земле (Auf meiner Erde)​

Album: Goi, Rode, Goi (2009)
Youtube-Link

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Welches Lied kann schon damit aufwarten, dass es Texte auf russisch, schwedisch, litauisch, lettisch, deutsch und niederländisch enthält? Dieses Lied ist für mich aus vielerlei Gründen ein Meisterwerk: nicht nur wurden herausragende Musiker sozusagen an einen Tisch gebracht, es verschmelzt deren Beiträge im Grunde nahtlos und unauffällig miteinander zu einem 15-minütigen Gesamtwerk voller Leidenschaft und regionalen Besonderheiten aus Sicht der Musiker. Zudem bringt sich jede Band mit ihren stilistischen Wiedererkennungswert ein. Aber der Reihe nach.

Das Album selbst hat eine übergeordnete Storyline, die eigentlich einen eigenen Beitrag wert wäre, und das Lied befindet sich geradezu unauffällig an vierter Stelle des Albums, sticht aber aufgrund stilistischer Vielfalt und der Spieldauer klar heraus. Im Booklet beschreiben Arkona es folgendermaßen:

"This is a song about a warrior who leaves his motherland to seek happiness in other countries. He mees foreign folk and ask them what their happiness is about."

Wie der Liedtitel schon andeutet (Земле steht hier mehr für Erde im Sinne von "Land" oder "Grund und Boden") teilen die bereisten Völker seine Begeisterung für die heimatliche Landschaft, in welcher alle ihr Glück finden. Was das Lied für mich besonders macht, sind zwei Dinge: die musikalische Umsetzung der jeweiligen Regionen und vor allem auch, mit welchen Worten die heimische Landschaft beschrieben wird. Da ich gerne Karten mache und mich für Wappen interessiere, habe ich eine dazu angefertigt. Die Wappen beziehen sich auf die Herkunftsstadt oder Region der jeweiligen Bands, die im Song beteiligt sind.

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Wer sich schon einmal mit den Texten von Arkona auseinandergesetzt hat (und das ist nicht so einfach, da sie fast ausschließlich auf russisch sind und auch in den Booklets nicht immer abgedruckt sind), der kennt ihre poetische Grundstimmung. Überhaupt ist das etwas, was russischen Metal für mich auszeichnet (ich hoffe, in Zukunft auch diese Region gesondert behandeln zu können): So harsch und für uns fast schon barbarisch die Sprache klingt, so sanfte und kunstvolle Worte verstecken sich dahinter.
Link zum übersetzten Text
Das mag für uns schon an Kitsch grenzen und funktioniert vermutlich auch nur im Originalton (auf Deutsch wäre so ein Text in einem Metal-Song für mich schwer vorstellbar), zeugt aber vom hohen Stellenwert der Sprache in Arkonas Musik, die ich durchaus vielen russischen Bands zuschreiben würde.
Da über russische Landschaften und dem Geist, der ihnen inne liegt, in vielen anderen Arkona-Songs berichtet wird, überlässt Masha das Erzählen in diesem Lied fast gänzlich den eingeladenen Gästen. Auch die Auswahl an Gästen zeigt, dass Arkona sich bezüglich musikalischen Inhalten stärker am paneuropäischen Gedanken orientieren als sich als Teil Asiens zu verstehen. Nicht zuletzt ist Arkona ein Küstenteil von Rügen, auf dem sich bis ins 12. Jahrhundert die Jaromarsburg als Festung eines slawischen Stamms befand. In diesen Zeiten frage ich mich, wie die Band mit dem krassen Zerwürfnis zwischen Russland und Europa umgeht, aber das wäre Gegenstand einer anderen Diskussion.

Erstmal: Geile Aufmachung!
Dann zum Album: "Гой, Роде, гой!" ist mein Lieblingsalbum von Arkona. Du kennst mich ja mittlerweile auch ein bisschen und weißt daher um meine Schwäche für osteuropäischen Pagan/Folk (Black) Metal, aber dieses Werk ist schon sehr weit oben in meiner Rangliste und definitiv ein Vertreter, der sich einen Eintrag in diesem Thread verdient hat. Was mich persönlich immer wieder erstaunt: "Гой, Роде, гой!" kommt fast auf 80 Minuten Spielzeit und fühlt sich überhaupt nicht so an. Erst diese Woche habe ich es wieder mehrmals gehört, es ist einfach erstaunlich gut gealtert. Für mich persönlich ist das auch eines der stärksten, immersivsten Verwimp-Artworks, was das Eintauchen in dieses mythologische Russland umso einfacher macht. Ich liebe die prunkvollen Chöre, die verspielten Folk-Anteile, die knackigen Metalpassagen, Mashas Gesang sowieso. Abgerundet wird das von Field Recordings und Samples. Arkona haben ein unglaublich gutes Gespür dafür, nicht kitschig zu sein, obwohl es so viele Ausfahrten gäbe, die man in diese Richtung hätte nehmen können. Dazu das fantastische Songwriting. Für mich ein Meilenstein des Genres.
 
Ich finde das Ganze auch eine sehr schöne Idee.
Ich bin großer Fan von Osteuropa und habe und hatte auch durch meine Familie viele Verbindungen dorthin (Ukraine, Russland, Ungarn, Rumänien).
Deswegen gefiel mir die Geschichte zu Arkona sehr gut, auch wenn ich mich mit der Band bis auf das Jahr 2005 nicht viel beschäftigt habe.
Ich bin natürlich auch großer Fan von osteuropäischen Metalbands :D
Die letzten Tage haben meine Frau die aus Ungarn kommt und ich viele Dokus über Siebenbürgen angeschaut. Sie war da auch schon paar Mal, da es ja bis nach zum Ende des 1. Weltkriegs zu Ungarn gehört hatte und auch sehr viele Ungarn (die Szekler) dort noch leben.
Ich hatte bis 2012 eine Partnerin die ebendieser Volksgruppe in Siebenbürgen angehört und war mit ihr auch 4 mal in Siebenbürgen bei ihrer Familie.
Diese Besuche haben bei mir immer einen großen Eindruck hinterlassen.
Wir waren dort sehr viel in der Natur und vorallem im verschneiten Winter ist diese Landschaft mit den Karpaten einfach nur beeindruckend. Wenn man dann noch durch Dörfer fährt in denen man meinen könnte, die Zeit sei vor 100 Jahren dort stehen geblieben. Pferdekutschen kommen einem auf einer total verschneiten Straße entgegen.
Oder im Sommer in einem Ferienhaus mitten in denen Karpaten, als ein Bär nur knapp unseren Spaziergangsweg gekreuzt hat.
Dann noch die ganzen Legenden um Vampire, Untote, Graf Dracula.
Vorallem als wir im Winter in Schäßburg (Sighișoara, Segesvár) waren, oder in Bran bei Draculas Burg (ob er da wirklich jemals war, steht auf einem anderen Blatt). Auf alle Fälle haben diese Orte Geschichte, Legenden, Mythen in mir aufleben lassen.
Und durch die ganzen Dokus bin ich dann wieder auf Negură Bunget gekommen. Die letzten drei Alben bilden ja sogar eine Konzept-Trilogie über Transsylvanien.
Jetzt höre ich gerade die mehr oder weniger Nachfolgeband Sur Austru.
Diese Musik fängt für mich die ganze Stimmung mit allem drumherum dieser historischen Gegend perfekt ein.
Und jetzt will ich da unbedingt mal wieder hin.
Würde es auch spannend finden, so eine Story wie die mit Arkona mit Negură Bunget und Siebenbürgen zu machen.
 
Danke für das Feedback und deine Gedanken. Der gesamte Karpatenraum wäre definitiv auch so eine Region, die ich mir hier gerne noch vornehmen würde.
Malokarpatan, Negură Bunget, The Vision Bleak, selbst Carpathian Forest haben diesen Namen ja nicht zufällig gewählt...

Als nächstes erstmal noch das zweite Lied, das ich angekündigt hatte.
 
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Danke für das Feedback und deine Gedanken5. Der gesamte Karpatenraum wäre definitiv auch so eine Region, die ich mir hier gerne noch vornehmen würde.
Malokarpatan, Negură Bunget, The Vision Bleak, selbst Carpathian Forest haben diesen Namen ja nicht zufällig gewählt...

Als nächstes erstmal noch das zweite Lied, das ich angekündigt hatte.
Ich bin sehr gespannt :)
 
Danke für das Feedback und deine Gedanken. Der gesamte Karpatenraum wäre definitiv auch so eine Region, die ich mir hier gerne noch vornehmen würde.
Malokarpatan, Negură Bunget, The Vision Bleak, selbst Carpathian Forest haben diesen Namen ja nicht zufällig gewählt...

Als nächstes erstmal noch das zweite Lied, das ich angekündigt hatte.

So ein geiler Text zur "Om" von Negura Bunget würde mich schon ziemlich anfixen, also aus deiner Feder. Ich würd's ja selber versuchen, weil ich mit dem Album auch ein paar "Schlüsselmomente" verbinde, aber ich hab momentan nicht ganz so viel Zeit dafür.
 
Aus aktuellem Anlass, weil das Album gerade wieder in Dauerschleife kreist, möchte ich mich erstmals beteiligen:

Ihr kennt das Gefühl vermutlich auch, wenn ihr beispielsweise mit Bathory vertraut seid. Man reist unter strikter Beobachtung des geistigen Auges in den Norden. Dort angekommen, wird man von einem rauen Nordwind begrüßt. Man erkundet naturbelassene Landschaften, durchstreift schier endlose Wälder, geht dann und wann auch mit Nordmännern auf Beutezug, um nach einer verlorenen Schlacht nach Walhalla aufzusteigen und mit ihnen und den Göttern gemeinsan in einer opulent verzierten Halle an einer reich gedeckten Tafel zu speisen. Viking Metal und Pagan Metal haben mich und wohl auch viele andere Genießer schon auf verschiedenste Gedankenreisen geschickt, aber die wenigsten Werke haben in mir eine Sehnsucht nach einem Ort ausgelöst, den ich noch nie besucht habe, wie "Traces" von Ash of Ashes.

Ich "kenne" Skaldir schon eine ganze Weile, weil ich für seine Vorgängerband Hel bereits das ein oder andere wohlwollende Review verfasst habe und wir uns im Zuge dessen hin und wieder über Musik und Atmosphäre unterhalten haben. Mein Eindruck ist immer noch, dass es nur ganz wenige Künstler bzw. wenig Musik gibt, auf die ich so euphorisiert, ja, geradezu heftig reagiere wie auf das Schaffen Skaldirs. Dieser Mann ist für mich Quorthon und Valfar in einer Person. Die stets singende Gitarre kommt von letzterem, die epischen und wehmütigen, aber eben nicht kitschigen Kompositionen von ersterem. "Traces" schickt mich manchmal auch in eine Schlacht, es ist aber vielmehr eine malerische Reise in längst vergangene Zeiten, verspielt aber dennoch unprätentiös. Man wandert in angemessenem Tempo von einem Panorama zum nächsten und kann sich an all diesen Eindrücken gar nicht sattsehen. Schneebedeckte Bergketten, im Nordwind rasselndes Herbstlaub, frische Brisen aus nahegelegenen Flüssen und anderen Gewässern, Wasserfällen und Bergquellen, eine entspannte Bootsfahrt, ganz wenig Zivilisation (hier mal eine Berghütte mit gastfreundlichen Menschen, die einem einen herrlichen Kräutertee am knisternden Feuer anbieten, dort mal ein einsamer Wanderer) - das harmonische Lied der Natur stets im Vordergrund stehend.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich diesem Album zunächst reserviert gegenüberstand, mittlerweile würde ich zu meinen unangefochtenen Lieblingsalben der letzten 10-15 Jahre zählen. Was so alles möglich ist, wenn man einem Kunstwerk Zeit gibt, sich zu entfalten. "Traces" von Ash of Ashes ist - zumindest meiner Meinung nach - ein grandioser Meilenstein eines großartigen Künstlers, mit dem ich mich, so esoterisch sich das vielleicht auch lesen mag, durch seine Kunst auf einer ganz besonderen geistigen Ebene verbunden fühle.


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Aus aktuellem Anlass, weil das Album gerade wieder in Dauerschleife kreist, möchte ich mich erstmals beteiligen:

Ihr kennt das Gefühl vermutlich auch, wenn ihr beispielsweise mit Bathory vertraut seid. Man reist unter strikter Beobachtung des geistigen Auges in den Norden. Dort angekommen, wird man von einem rauen Nordwind begrüßt. Man erkundet naturbelassene Landschaften, durchstreift schier endlose Wälder, geht dann und wann auch mit Nordmännern auf Beutezug, um nach einer verlorenen Schlacht nach Walhalla aufzusteigen und mit ihnen und den Göttern gemeinsan in einer opulent verzierten Halle an einer reich gedeckten Tafel zu speisen. Viking Metal und Pagan Metal haben mich und wohl auch viele andere Genießer schon auf verschiedenste Gedankenreisen geschickt, aber die wenigsten Werke haben in mir eine Sehnsucht nach einem Ort ausgelöst, den ich noch nie besucht habe, wie "Traces" von Ash of Ashes.

Ich "kenne" Skaldir schon eine ganze Weile, weil ich für seine Vorgängerband Hel bereits das ein oder andere wohlwollende Review verfasst habe und wir uns im Zuge dessen hin und wieder über Musik und Atmosphäre unterhalten haben. Mein Eindruck ist immer noch, dass es nur ganz wenige Künstler bzw. wenig Musik gibt, auf die ich so euphorisiert, ja, geradezu heftig reagiere wie auf das Schaffen Skaldirs. Dieser Mann ist für mich Quorthon und Valfar in einer Person. Die stets singende Gitarre kommt von letzterem, die epischen und wehmütigen, aber eben nicht kitschigen Kompositionen von ersterem. "Traces" schickt mich nicht in eine Schlacht, nein, es ist vielmehr eine malerische Reise in längst vergangene Zeiten, verspielt aber dennoch unprätentiös. Man wandert in angemessenem Tempo von einem Panorama zum nächsten und kann sich an all diesen Eindrücken gar nicht sattsehen. Schneebedeckte Bergketten, im Nordwind rasselndes Herbstlaub, frische Brisen aus nahegelegenen Flüssen und anderen Gewässern, Wasserfällen und Bergquellen, eine entspannte Bootsfahrt, ganz wenig Zivilisation (hier mal eine Berghütte mit gastfreundlichen Menschen, die einem einen herrlichen Kräutertee am knisternden Feuer anbieten, dort mal ein einsamer Wanderer) - das harmonische Lied der Natur stets im Vordergrund stehend.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich diesem Album zunächst reserviert gegenüberstand, mittlerweile würde ich zu meinen unangefochtenen Lieblingsalben der letzten 10-15 Jahre zählen. Was so alles möglich ist, wenn man einem Kunstwerk Zeit gibt, sich zu entfalten. "Traces" von Ash of Ashes ist - zumindest meiner Meinung nach - ein grandioser Meilenstein eines großartigen Künstlers, mit dem ich mich, so esoterisch sich das vielleicht auch lesen mag, durch seine Kunst auf einer ganz besonderen geistigen Ebene verbunden fühle.


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Ich werde das Mal Antesten.
 
Schön geschrieben, danke für den Beitrag! Bin in diesem Moment dabei, ebenfalls an weiteren Inhalten zu arbeiten, das zieht sich mal wieder länger als usprünglich gedacht.

Über Ash of Ashes haben wir beide uns im anderen Thead ja schonmal ausgetauscht, zweifelsfrei ein einzigartiger Musiker. Ich muss ja sagen, dass er in meinen Ohren mit den Hel-Alben ein schweres Erbe antritt, da diese für mich nach wie vor unerreicht sind und die Panoramen sich vor meinem inneren Auge intensiver ausbilden als bei Ash of Ashes. Was beiden Projekten aber gemein ist - Romantik. Und zwar nicht im kitschigen Sinne einer Liebesgeschichte, sondern im klassischen literarischen Sinn als Epoche, die sich auf neue (alte) Weise mit Musik, Malerei, Philosophie, Geschichte und eben auch Natur befasst hat. Man muss sich nur die Gedichte Eichendorffs oder die Gemälde Caspar David Friedrichs oder William Turners ansehen, um zu spüren, was gemeint ist. Und ich kenne keine andere Musik neben der von Skaldir, die das so gekonnt aufgreift und wiedergibt, am ehesten noch Empyrium oder Enid. Demnach definitiv eine Band, die hier reinpasst.
 
Es hat ein wenig gedauert, aber ich fand mich an mehreren Stellen dazu inspiriert, mal wieder etwas Gehaltvolles beizutragen und habe ich diesem Kleinprojekt wieder mehr Priorität eingeräumt. Ich hab größtenteils drauf losgeschrieben, es zog sich aber nun mehrere Monate, weswegen sich der gesamte Beitrag vielleicht hinsichtlich Stil und Detailgrad etwas verändert.

Wie angekündigt möchte ich an dieser Stelle ein weiteres Lied vorstellen, das sich noch viel stärker als das vorige an der spannenden Schnittstelle zwischen Musik und Länderkunde bewegt. Es handelt sich um Heathen Tribes von Primordial (Link zum Video). Zusammen mit dem bereits vorgestellten von Arkona steht es quasi stellvertretend für die Thread-Idee, die Ausprägungen regionaler Besonderheiten im Metal herauszuarbeiten und wertzuschätzen.

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Es befindet sich auf dem grandiosen To The Nameless Dead (2007), welches für mich stilistisch betrachtet den bisherigen Höhepunkt der Band-Diskographie darstellt. Es muss nicht zwangsweise als ihr bestes Album bezeichnet werden, hier fällt es mir schwer, mich überhaupt festzulegen, aber es besticht für mich vor allem damit, dass es mehr als alle anderen in sich stimmig ist. Der Sound von Primordials Alben zeigt sich bekanntlich so wandlungsfähig wie ihre Musik und reicht von garstig-unangenehm (Imrama) über staubtrocken (The Gathering Wilderness) bis hin zu professionell modern (Where Greater Men Have Fallen). Auf diesem Album kommt er mir jedoch so klar, dem Inhalt angemessen und natürlich vor wie auf keinem anderen, die einzelnen Instrumente unterstützen sich gegenseitig und formen ein ausdrucksstarkes Gesamtbild.

Als würde das Album nicht schon genügend Höhepunkte enthalten, steht Heathen Tribes fast unscheinbar in der Mitte und wird in einigen Rezensionen als eine feierlich-folkige Hymne beschrieben, was mir immer schon zu vereinfachend vorkam. Ich sehe in dem Lied einen recht einzigartigen (gelungenen)Versuch, das auszudrücken, worum es mir in diesem Thread geht. Aber es ist einfacher, anhand der Texte durch den Song zu führen. Ich habe wieder ein paar Abbildungen generieren lassen, um das ein wenig zu visualisieren.

Und so schwer ich mir bisweilen mit Alans Ausführungen abseits der Alben und seinem oftmals abgrenzend wirkenden Patriotismus schwer tue, so glaubwürdig und überzeugend bringt er in diesem Lied seine Vorstellung eines einenden Elements der Natur über alle vom Menschen konstruieren Grenzen hinweg zum Ausdruck, und ebenso seine stets von Respekt gekennzeichneten Kenntnisse über die verschiedenen Kulturen Europas.
 
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Das Lied beginnt mir der Beschreibung eines Raums, der nicht geographisch zu verstehen ist, sondern als Idee, Gefühl oder Kraftquelle, die er als geneinsame Grundlage vieler Völker und Stämme sieht. Dass er bewusst dabei das Wort "Kirche" verwendet, ist interessant und kann als sein klarer Gegenentwurf zu religiösen Ausprägungen der Menschheitsgeschichte betrachtet werden.

This is my church
It stands so tall, proud
It has done for all times

It has no walls
Yet its vast halls
Reach from shore to shore


Es war gar nicht so einfach, hierfür ein passendes Bild generieren zu lassen. Denn basierend auf dem Originaltext wurde immer eine Kirche (umgeben von Wald) im wörtlichen Sinne dargestellt, die der Idee dieser Zeilen natürlich nicht gerecht wird. So war es klar für mich, dass es eigentlich nur um eine geistige Idee, ein Gefühl der Zugehörigkeit gehen kann, das man in einer modernen Welt verspürt, in der der Begriff der Naturverbundenheit entweder esoterisch-ideologisch negativ behaftet ist oder zu einem oberflächlichen Lifestyle-Buzzword degradiert wurde.
Klar, man sieht, dass das Bild KI-generiert ist, es kommt mir aber halbwegs passend für diese Zeilen vor.

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Quelle: DALL-E



Musikalisch bewegt man sich in den ersten drei Minuten in einem fast schon hypnotischen Rhythmus, der sich aus feinen Akustikgitarren und der Bassdrum trägt und immer wieder durch die kurzfristig einfallenden verstärkten Gitarren eingerahmt wird. Alan sind in einer führ ihn bequemen Lage und wirkt, wie so oft eigentlich, wie ein spiritueller Anführer, ein in sich gekehrter Wanderprediger, dem man nach wenigen Worten an den Lippen hängt, weil man sich verstanden fühlt. Auch wenn Sie bereits über 15 Jahre zurückliegen, es sind die folgenden Zeilen, die mich davon überzeugen, dass er bei all den schrulligen und teilweise fragwürdigen Aussagen (insbesondere die aus seinem Podcast, beispielsweise zu Elitenkritik, Cancel Culture oder Political Correctness) ein im Grundgedanken offener Typ ist, der nicht an systematischer Aus- bzw. Abgrenzung interessiert ist.

To whatever shore
You know as your own
We stand as one, we stand alone

And we are born
From the same womb

Hewn from the same stone

Ähnlich wie im vorigen Abschnitt ist es eigentlich klar, dass eine zu bildhafte Visualisierung dieser Zeilen im Grunde nur kitschig oder peinlich aussehen kann, daher fand ich eine Darstellung von Steinen, die für sich gesehen individuell sind, aber ein zusammenhängendes Muster ergeben und auch auf einen gemeinsamen Ursprung hindeuten, ganz passend. Wer sich mit Symbolen beschäftigt, dem werden natürlich, wie schon beim ersten Bild, die Haare zu Berge stehen, denn keines der Symbole existiert in Realität. Um diese Wall Of Text ein wenig aufzulockern, reicht es allemal. Zumal nach diesen vorgelagerten Zeilen ein neuer Abschnitt im Lied beginnt.

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Quelle: DALL-E
 
Zuletzt bearbeitet:
Alan begibt sich nun, ähnlich wieder Krieger im Arkona-Song, sozusagen auf die Reise zu den verschiedenen Regionen, die er als Zentren heidnischer Kultur in Europa wertschätzt, und erinnert (sich) an Erlebnisse und Meilensteine, die eng mit deren landschaftlichen und kulturellen Ausprägungen verbunden sind.

And from the frozen Baltic
I watched sunrise over Athena
Walked the battlefields of Flanders
And saw duskfall at Sintra


Es mag lyrische Gründe haben, warum Alan seine Aufzählung mit dem Baltikum beginnt, man kann es aber auch als seine höchste Priorität (außerhalb Irlands) interpretieren. Denn zweifelsohne sind die Naturgewalten besonders intensiv ausgeprägt, je weiter nördlich und landeinwärts man sich in Europa bewegt. Und obwohl das Baltikum ein überwiegend gemäßigter Raum ist (in Klimaklassifikationen in der gleichen Kategorie wie Bayern, Sachsen und Brandenburg, nämlich feucht-kontinental mit milden Sommern und ganzjährigem Regen), spricht er vom Frozen Baltic, denn die Ostsee selbst ist nicht nur als Zungenbecken in den letzten Eiszeiten entstanden, als sich die arktische Vereisung vor 12.000 Jahren zurückzog, sondern ist auch in durchschnittlichen Wintern immer noch zur Hälfte vereist, beginnend in den bottnischen, finnischen und rigaischen Meerbusen, wo die Vereisung bis März ihr Maximum erreicht (in diesem Satellitenbild der ESA schön zu sehen). Da die Ostsee auch wichtige Transport- und Passagierstraßen enthält, ist das nicht nur ein beeindruckendes Schauspiel, sondern aus heutiger Sicht auch mit weitreichenden Folgen für die Menschen dort verbunden. So ist es nicht schwer, sich vorzustellen, welchen Einfluss die Vereisung vor hunderten von Jahren hatte, als es noch keine Eisbrecher gab und das globale Klima noch ein paar Kelvin kühler war. Zum letztenmal vollständig zugefroren ist die Ostsee im Jahr 1947, aber selbst in 1987 betrug der Grad der Vereisung 96%.
Und nicht zuletzt spielte die Vereisung eine Rolle bei der Christianisierung des Baltikums, denn es gibt verschiedene (historisch betrachtet teilweise nachträglich überhöhte) Ereignisse, die damit in Zusammenhang standen, allen voran die sogenannte "Schacht auf dem Eis" am 5. April 1242, in der eine Streitmacht des Livländischen Ordens der Ostexpansion des Livländischen Ordens (Vereinigung aus Deutschem Orden und dem Schwertbrüderorden) einhalt gebot, die komplett auf dem zugefrorenen Peipusssee (von der Größe vergleichbar mit dem Bodensee) stattgefunden haben soll. In dieser Schlacht kämpften aber bereists Christen gegen Christen (orthodoxe gegen katholische), sie ist aber im Kontext der Livonischen Kreuzzüge eingebettet, die über einen Zeitraum von rund 100 Jahren (1200 bis 1300) die Christianisierung des Baltikums zum Ziel hatten, im Zuge derer es auch immer wieder zu Widerstandskämpfen der letzten heidnischen Bastionen kam, als zum Beispiel im Jahr 1223 bei Ösel ein Heer von angeblich 20.000 Kriegern über das gefrorene Wasser anrückte (in dieser Zeichnung bildhaft dargestellt).
Und so sind es am Ende nur zwei Worte, die einen einladen, in die Geschichte des Baltikums und seines Eises einzutauchen, ich selbst bin dabei auf einige spannende Dinge gestoßen.

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Gefrorene Küste in Estland (CC-BY Speurt 2013)

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Winteraufnahme im März 2002 (NASA 2002)
 
Auch de Sonnenuntergang in Athen klingt zunächst einmal recht banal. Als kulturelles Zentrum der Antike ist die Stadt prägend für ganz Europa und seine Spuren reichen von Kunst über Philosophie (Sokrates, Platon oder Aristoteles), Architektur, Staatsführung und politische Teilhabe bis hin zur Mythologie, deren Elemente in Form von Dichtungen und Sagen in die Kultur und Literatur vieler europäischer Völker Einzug nahmen und dabei oft mit lokalen Legenden verwoben wurden und so die Grundlage vieler heidnischer Bräuche und Rituale bildeten. Offenkunding sind die starken Parallelen zwischen griechischen und römischen Gottheiten (Zeus/Jupiter, Athene/Minerva, Aphrodite/Venus, Hera/Juno…), Mythen (Herakles/Hercules, Odysseys/Ulysses) oder Festlichkeiten (Kronien/Saturnalien), aber auch außerhalb der römischen Welt gab es diese Querverbindungen, beispielsweise im keltischen Pantheon, welches sich durch eine größeren Zahl unterschiedlicher Götter auszeichnet, die ebenfalls Parallelen zur römischen (und damit am Ende wieder griechischen) Mythologie aufweisen (hier dazu mehr). Auch keltische Münzen sind stark geprägt von griechischer Ikonographie und Symbolik, beispielsweise Pferde, Streitwagen, Eulen oder Swastika (Rudd 2017, Allen 2024). Und auch hinsichtlich germanischem Heidentum gibt es Theorien, die die Entstehung der Runenschrift Futhark auf das griechische Alphabet zurückführen, wobei die Etrusker dabei eine Mittelrolle einehmen (Biehringer 2024)
Niemand weiß diese Zusammenhänge besser zu interpretieren und musikalisch umzusetzen als Rotting Christ, aber auch Varathron oder Astarte, deren gemeinsame Hauptelemente das Heidentum, sowie Okkultismus, Mythologie und antichristliche Haltungen bilden. Ich hoffe, dass ich auch dieser Kultur später einen eigenen Beitrag widmen kann.

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Akropolis bei Sonnenuntergang (CC-BY Markovic 2016)

Und so könnte ich auch die Schlachtfelder in Flandern, dem heutigen Belgien, etwas weiter zerpflücken und auch den Einbruch der Dämmerung in Sintra (nördlich von Lissabon), aber zu ersterem Schwebt mir ebenfalls ein eigener Beitrag vor, bei zweiterem muss ich passen und vermute, dass bei der Wahl dieser Kleinstadt entweder ein persönliches Erlebnis zugrundelag, oder die Tatsache, dass es sich um den westlichsten Teil Europas handelt, wenn man Irland einmal außen vor lässt. Das würde auch dahingehend passen, da man mit dem Baltikum und Athen bereits die nord- und südöstlichsten Ecken erwähnt hat. Die Erwähnung der Stadt in einem alten nordischen Gedicht (Útfarardrápa, Link zur Quelle) kommt mir etwas zu an den Haaren herbeigezogen vor. Und so belasse ich es bei diesem Abschnitt mit zwei Bildern, die dem heidnischen Spirit dieser Orte möglichst gerecht werden sollen.

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Landschaft in Flandern (Rubens um 1640)

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Castelo des Mouros, Sintra (Public Domain, Kearney 2014)
 
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