SUICIDE

Klaus

Till Deaf Do Us Part
SUICIDE - Das ist der Dreck der Strasse, der dunkelste Ort in den schmierigsten Hinterhöfen, wo sich der Vietnamveteran die Kehle durchschneidet und der Junkie keine gesunde Vene in seinem geschundenen Körper findet, um sich den letzten erlösenden Schuß zu setzen. Das ist die Wohnung, wo der Vater seine Kinder und seine Frau mit dem Messer umbringt, aber danach zu feige ist seine pathetische Existenz zu beenden. Das ist die Strasse, wo Travis Bickle entlangläuft, um den Dreck der Strasse wegzufegen.


SUICIDE - Das ist die Sehnsuchte nach Liebe. Das ist eine zärtliche Romanze, die in ewiger Liebe endet. Das ist aufrichtige, selbstlose Liebe, die nicht nach Antwort fragt. Das ist der rosarote, zärtliche Traum, in dem sich das Liebespaar vereint und sich ewige Liebe schwört.


Diese beiden Pole charakterisieren die Musik von SUICIDE - eine extrem einflußreiche Band, die 1970 in New York von Alan Vega und Martin Rev gegründet wurde. Martin Rev war großer Jazz-Fan und hat zahlreiche Jazz-Giganten wie Thelonius Monk und Charles Mingus live gesehen. Alan Vega war großer Elvis- und SILVER APPLES-Fan, aber er mochte auch THE STOOGES und VELVET UNDERGROUND. Besonders fasziniert war er von deren frühen Auftritten, als VELVET UNDERGROUND mit endlosen Feedback-Orgien und gnadenlosen Stroboskopattacken das Publikum attackierten und als IGGY POP immer wieder das Publikum verstörte mit Blut und heißem Wachs.

1970 war es dann soweit. SUICIDE war der vertonte, elektronische Minimalismus. Martin Rev war mit einem billigen Drumcomputer und einem winzigen Synthie bewaffnet und Alan Vega mit einem Mikro und einer langen schweren Kette, die er immer wieder gerne ins Publikum schnellen ließ, während er sich mit dem Mikrofon die Backen aufschnitt. Die Musik war neu und nicht zu kategorisieren. SUICIDE spielten nie länger als 20 - 25 Minuten, aber das reichte auch völlig aus um dem Publikum den Rest zu geben. SUICIDE spielten oft im Mercer Art Center. Während 1973 die NEW YORK DOLLS in einem Raum ihre bunte Rock 'n' Roll-Party feierten, entfesselten SUICIDE parallel die Hölle und zeigten, das die Strassen von New York das Paradies waren im Vergleich zu ihrer Musik. Sehr schnell wurde die Band zum Hassobjekt und Konzerte mussten immer wieder abgebrochen werden.

Sieben Jahre nach der Gründung erschien das erste Album von SUICIDE. 1978 waren SUICIDE das erste Mal in Europa auf Tour. Auf dem Festland spielten sie vor ELVIS COSTELLO mit dem gleichen Resultat wie in New York - Gewalt. Noch schlimmer war es, als sie dann auf der selben Tour die Vorband von THE CLASH waren. Bei einem Auftritt verlor Alan Vega beinahe das Leben, als aus dem Publikum eine Axt auf ihn geworfen wurde. Keine Fiktion sondern Realität. Das Punk-Publikum war völlig überfordert von SUICIDE. Sie fühlten sich bis auf's Blut provoziert. Aber es gab auch positive Resonanzen im Publikum, denn dort waren die ganz jungen SOFT CELL, DEPECHE MODE, THE HUMAN LEAGUE und so weiter. Diese Bands gründeten sich nach der Tour, denn sie war extrem beeindruckend von SUICIDE.

SUICIDE existierten von 1970 bis 2016 und veröffentlichten fünf einzigartige Studioalben, die alle auf ihre Art und Weise monolithische Schönheiten sind. In der Zeit nahmen Alan Vega und Martin Rev immer wieder Soloalben auf, die ich fast so liebe, wie die SUICIDE-Diskografie. Man muß sich nur 'Viet Vet' von Vega's zweitem Album 'Collision Drive' anhören - ein knapp 13minütiger, freudloser Trip in die traumatisierte Psyche eines U.S.- Soldaten. Die Vertonung von 'Apokalypse Now'. Noch nie war das Herz der Finsternis so schwarz. Aber SUICIDE hatten nie Berührungsängste. 'Franke Teardrop' schildert die wahre Geschichte eines Familienvaters, der nach der Arbeit nach Hause kommt um seine Frau und sein Kleinkind zu töten, nur um sich danach selber das Leben zu nehmen. In dem Song folgt der Erzähler dem Täter danach in die Hölle. Aber es gibt auch süßliche, liebevolle Momente - 'Cheree' zum Beispiel ist ein wunderbares Liebeslied, welches einen zu Tränen rühren kann. Oder 'Dream Baby Dream'.

2016 verstarb Alan Vega mit 78 Jahren. Martin Rev ist musikalisch noch aktiv und erforscht die klassische, elektronische Musik. SUICIDE bezeichneten 1970 ihre Musik als Punk, aber sie waren weder Punk noch Synthie-Pop oder Industrial. Sie waren immer sie selbst und sie waren Pioniere für tausende von Bands.

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SUICIDE - Harlem (Live 1980):
 
Im letzten Jahr hat Sacred Bones Records ALAN VEGA's bisher unveröffentlichtes Album 'Mutator' rausgebracht. Die Songs hat er zwischen 1996 und 1998 mit seiner Lebensgefährtin Liz Lamere aufgenommen. Dieses war der Auftakt für weitere offizielle Veröffentlichungen von Sacred Bones aus dem Archiv von Alan Vega. Als nächstes folgt Ende Februar 2022 die 12" 'Invasion / Murder One'.


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Ich hoffe, dass in Vega's Archiv noch viele weitere musikalische Schätze auf ihre Entdeckung (und Veröffentlichung) warten. Und ein neues Album von MARTIN REV wäre natürlich auch klasse.
 
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