Eiswalzer
Till Deaf Do Us Part
So, da ich mit "Der Distelfink" von Donna Tartt gerade den nächsten 1000-Seiten-Wälzer angefangen habe, hier noch der Überblick auf die letzten 2-3 Monate:
Stephen King - Im Morgengrauen
Inhalt: Eine kleine Sammlung an Kurzgeschichten, gefolgt von der etwas längeren Story "Im Nebel". "Der Mann, der niemandem die Hand geben wollte" erzählt von jemandem, der nach einem Erlebnis in Indien mit einem tödlichen Fluch belastet wurde, "Achtung - Tiger!" und "Omi" spielen ein wenig mit kindlichen Schreckensvorstellungen in Schule und Alltag (und den Möglichkeiten, dass es sich dabei doch nicht bloß um Vorstellungen handeln könnte...), und die "Morgenlieferungen" eines Milchmanns fallen schließlich auch nicht nur positiv für die Kunden aus. "Im Nebel" schließlich geschehen merkwürdige Dinge: Nach einem Unwetter bricht ein eigenartiger Nebel über eine Kleinstadt in Maine hinein, der Kunden und Personal eines Supermarkts buchstäblich in ihrem Etablissement einsperrt. Aus dem Nebel dringen fremdartige Laute, zur Erkundung ausgesendete Menschen kehren nicht zurück, schließlich tauchen noch seltsamerere Kreaturen auf...
Kommentar: Die Kurzgeschichten sehen King in recht leichter, aber konzentrierter Form, während "Im Nebel" schon eher dem nahekommt, wofür man King sonst so kennt - dafür spricht wohl alleine schon die Tatsache, dass sich unzählige weitere Autoren dieses Szenarios, unterschiedliche Charaktere unter fremdartigen Umständen an einem Ort festzuhalten, bemächtigt haben (vor allem das vor zwei Jahren gelesene "Todesregen" von Dean Koontz entsprach diesem Topos ziemlich genau). Trotzdem ist King seinen Nachahmern immer noch einen Schritt voraus, wenn er wie hier beispielsweise einen eher unvollständigen, nicht perfekten Protagonisten wählt, der gelegentlich auch falsche Entscheidungen trifft und ab und an schlichtweg auch nur durch Glück überlebt. Eher schwach war dagegen mal wieder die Übersetzung - man merkt es leider nur allzu deutlich, wenn Übersetzer mit stehenden Wendungen und Begriffen der Originalsprache nichts anfangen können. Trotzdem: Eine nette Abwechslung.
Haruki Murakami - Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Inhalt: Tsuruku Tazaki wird zu Beginn seines Studiums sehr plötzlich von seinem Freundeskreis aus der Schulzeit ausgestoßen - mit der lapidaren Erklärung, er wisse schon, warum. In den Folgejahren vereinsamt Tazaki und macht sich zunehmend Selbstvorwürfe, die er in den bizarren Zusammenhang stellt, als einziger seines Freundeskreis keinen auf eine Farbe verweisenden Nachnamen zu haben, klammert sich aber an seine Arbeit als Architekt für Bahnhöfe und findet damit seinen Frieden - vorerst. Als er Jahre später eine Beziehung beginnt, ermutigt ihn die Freundin aber, sich diesem wunden Punkt seiner Biografie zu stellen und den Kontakt zu seinen ehemaligen Freunden erneut zu suchen...
Kommentar: Wohl so eine Art typischer Gesellschaftsroman von Murakami. Die Hauptfigur ist keine herausragende Persönlichkeit, sondern eben ein eher normaler, wenn auch - wie sich im Laufe der Handlung herausstellt - nicht wortwörtlich "farbloser" Mensch (überhaupt scheint die ganze Handlung darauf hinauszulaufen, dass es weniger der Charakter denn die soziale Einbettung eines Menschen ist, die seine Rolle und sein Wesen bestimmt), und die Dinge, die sie durchlebt, sind keine "Abenteuer" im engeren Sinne (allenfalls entspräche die Reise zu einem dieser Freunde nach Finnland diesen Punkt, aber selbst die wird hier halbwegs sorgfältig vorbereitet - Tazaki nimmt sogar Urlaub dafür). Das Drumherum ist dann ansonsten eine offenbar recht normale Beschreibung des Alltagslebens im Japan der 90er und 00er Jahre, was den Roman zwar einerseits gewissermaßen erdet, ihn andererseits aber eben auch nicht herausstechen lässt. Das führte zu der paradoxen Situation, dass sich der Roman zwar angenehm liest, aber dann wiederum auch keinen besonderen Nachhall findet.
Haruki Murakami - Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Inhalt: Der Erzähler wächst als Einzelkind auf - eine Eigenschaft, die er mit seiner besten Freundin der Schulzeit teilt. Nach einem Umzug verlieren die beiden sich aber aus den Augen. Im späteren Leben gründet der Erzähler nach einem eher tristen Job in einem Schulbuchverlag mit Unterstützung seiner Frau zwei recht erfolgreich laufende Jazzclubs - und just dort trifft er eines Tages seine Sandkastenfreundin wieder. Ist der Herr nun bereit, das nachzuholen, was er in seiner Jugend versäumt hat, und mag er dafür auch sein bisheriges Leben über Bord werfen?
Kommentar: Noch so eine eher gewöhnliche, teils gar melodramatische Story. Der etwas reißerische Titel der Originalübersetzung, "Gefährliche Freundin", klingt zwar ziemlich abgeschmackt, trifft den recht seifigen Charakter dieses Romans aber wesentlich besser als jener weitaus mehr intellektuellen Anspruch heischende der Neuübersetzung. Kein großes Werk liegt hier also vor, sondern leidlich unterhaltsame Gebrauchsliteratur. Einzig interessanter Aspekt ist vielleicht wieder mal die Tatsache, dass nicht alles in der Geschichte restlos aufgeklärt wird und viele Punkte der Biografien jener Freundin bis zum Ende offen bleiben. Das ist eine reizvolle Idee, aber gemacht wurde daraus eben auch nichts. Insofern habe ich also erst mal genug von Murakami.
Frank Goosen - Sechs silberne Saiten
Inhalt: Eine kleine Weihnachtsgeschichte: Holger, der sich als Enddreißiger eher schlecht als recht durchs Leben kämpft, trifft an Heiligabend einen Weihnachtsmann namens Udo, der in der Innenstadt auf der Gitarre Country- und Songwriter-Klassiker klampft. Damit nicht genug: Als er sich wenig später selber aus der Wohnung aussperrt, hilft ihm eine Ruhrpott-Omma aus der Klemme - und wenig später sammeln sich unerwarteterweise auch noch weitere Personen in Holgers Wohnung an, die alle ebenfalls von einem Weihnachtsmann mit Gitarre den Weg gewiesen bekommen haben wollen...
Kommentar: Tatsächlich eine nette, wenn auch recht kurze Story, deren Stoßrichtung zwar einigermaßen gewohnt ist (jede Menge verkrachter Existenzen springen an Weihnachten über ihren Schatten) und in diesem Genre eigentlich nur durch die Goosen-üblichen Verweise auf Größen der Popmusik (sowie das Ruhrpott-Setting) eigene Elemente einbringen kann, dafür aber wiederum nicht zu klischeehaft ausfällt und auch nicht zu sehr ausufert - wer's probieren mag, wird sicherlich für einen weihnachtlichen Vorleseabend das Ding in weniger als einer Stunde heruntergerattert bekommen. Ärgerlicher war da schon, wofür Goosen aber natürlich nichts kann, dass dieses Jahr die Erinnerung an die übliche und so gut wie nie reibungsfreie Weihnachts"stimmung" eher Wunden zu schlagen in der Lage ist. Aber so ist 2020 eben.
Orhan Pamuk - Das schwarze Buch
Inhalt: An einem Wintertag kehrt Anwalt Galip nach Hause zurück und muss feststellen, dass seine Frau Rüya ebenso verschwunden ist wie ihr Stiefbruder, der Zeitungskolumnist Celal. Natürlich steht für Galip fest, dass die beiden sich gemeinsam versteckt halten müssen - und so beginnt er eine buchstäbliche Odyssee durch das verschneite Istanbul, trifft die verschiedensten Leute, schlüpft gelegentlich in die Rolle von Celal und begegnet vor allem unzähligen Geschichten. Und über allem steht im weiteren Verlauf immer weiter die Frage: Wer ist wer, was ist Wahrheit und was ist bloßer Schein?
Kommentar: Natürlich ist auch dieser Roman vollgestopft mit Verweisen auf die Geschichte und Entwicklung der Türkei, speziell Istanbuls, und der umgebenden Gebiete, insbesondere des Orients. Anders als in den sonstigen Romanen, die ich von Pamuk bislang gelesen hatte, werden diese Ereignisse hier aber nicht erlebt (wie in "Diese Fremdheit in mir") oder symbolhaft in bestimmte Charaktere eingeflochten (wie in "Schnee"), sondern hier eben hauptsächlich indirekt durch eben die genannten Geschichten erzählt. Aber nicht nur bloß erzählt, sondern auf dieser metanarrativen Ebene auch miteinander verflochten, gegenübergestellt. Dabei ist auch das Kernthema - die Frage nach Identität, Mimikry, Urheberschaft und Nachahmung, und zwar in kultureller wie gesellschaftlicher Hinsicht - recht interessant. Leicht zu lesen war das Buch allerdings nicht - die Form brachte es eben mit sich, dass es seitenlange Absätze gibt statt kurzer, knapper Abfolgen wörtlicher Reden, und auch die Erzählstruktur, die aus jeweils einem Kapitel mit Galips Irrwegen im Wechsel mit Celals (oder Galips) Kolumnen besteht, macht es da nicht einfacher. Ich habe also - zumal ich ja nur an Wochenenden zum Lesen gekommen bin - mehr als einen Monat an diesem Schinken gelesen. Somit ist wohl verständlich, dass danach dann erst mal leichtere Sachen gefragt waren.
Frank Goosen - Weil Samstag ist
Inhalt: Frank Goosen erzählt in teils essayistischer, teils episodenhafter Form von seiner Vorliebe für den Fußball, und zwar von der alljährlichen Leidensgeschichte als Anhänger des VfL Bochum, als Familienvater beim Versuch, diese Leidenschaft auch dem Nachwuchs angedeihen zu lassen, bei Pokalspielen und schließlich als mehr oder weniger involvierter Zuschauer bei der Weltmeisterschaft 2006 und der Europameisterschaft 2008.
Kommentar: Erneut recht leichte, aber unterhaltsame Kost, wenn auch nicht unbedingt Literatur, bei der man sich vor Lachen kringelt. Dazu ist das Geschehen - auch gerade durch den Ruhrgebiets- und Bochum-Bezug teils eben doch zu tragikomisch. Ansonsten ist wohl der einzige nennenswerte Makel dieses Buchs der Umstand, dass es doch ein wenig zusammegeklaubt wirkt (was offenbar tatsächlich der Fall war, zumal Goosen sein Material hier aus eigenen Kolumnen, Artikel und Blogbeiträgen zusammengetragen hat).
Olaf Schubert & Stephan Ludwig - Wie Dirk B. lernte, den Kapitalismus zu lieben
Inhalt: Als Hilfslehrer an einer alternativen Schule pflegt Dirk Bergfalk ein wenig erfülltes Leben, das ihm ebenso wie der fahrige Umgang mit seinem ohnehin schwierigen, weil passiv-aggressiven Sohn Meino als Versager erscheinen lässt - mehr noch, als ihm seine Frau, die Bankerin Albina, den Laufpass gibt. Doch die ebenso mysteriöse wie unlöschbare, zugleich bestens informierte App mit dem ominösen Namen "Weltenmeister" scheint Rat zu wissen, wie Dirk in der kapitalistischen Wirtschaft wieder und stärker denn je auf die Beine kommt. Oder auch nicht, denn fortan schlingert Dirk in all seinen Versuchen - u.a. als Vertreter, Bestattungshelfer, Lokalpolitiker - nur noch von einer Kalamität in die nächste...
Kommentar: Eins vorweg: Mit dem Stil, für den man Olaf Schubert als Kabarettisten kennt, hat dieses Buch kaum etwas gemeinsam. Allenfalls die teils - wie das Buch auch selber anmerkt - arg Kalenderspruch-artigen Weisheiten des "Weltenmeisters" gehen in ihrer schlitzohrigen Aussagelosigkeit ein wenig in diese Richtung. Ansonsten ergibt sich eine teils ein wenig gewöhnlich (was wohl auf die Routine des Krimiautors Stephan Ludwig zurückgehen dürfte) erzählte, aber entsprechend angenehm luftige Tragikomödie, deren einziger echter Mangel das eher angeflanschte Deus-Ex-Machina-Ende ist, wenn auch Dirk B. hier subversiverweise erst aus all seinen Miseren befreit wird - und dann, soviel spoilere ich mal, von den Autoren in Person wieder in die Nicht-Existenz seiner bloßen Fiktionalität hinabgestoßen wird. Na, kann man lesen.
Stephen King - Im Morgengrauen
Inhalt: Eine kleine Sammlung an Kurzgeschichten, gefolgt von der etwas längeren Story "Im Nebel". "Der Mann, der niemandem die Hand geben wollte" erzählt von jemandem, der nach einem Erlebnis in Indien mit einem tödlichen Fluch belastet wurde, "Achtung - Tiger!" und "Omi" spielen ein wenig mit kindlichen Schreckensvorstellungen in Schule und Alltag (und den Möglichkeiten, dass es sich dabei doch nicht bloß um Vorstellungen handeln könnte...), und die "Morgenlieferungen" eines Milchmanns fallen schließlich auch nicht nur positiv für die Kunden aus. "Im Nebel" schließlich geschehen merkwürdige Dinge: Nach einem Unwetter bricht ein eigenartiger Nebel über eine Kleinstadt in Maine hinein, der Kunden und Personal eines Supermarkts buchstäblich in ihrem Etablissement einsperrt. Aus dem Nebel dringen fremdartige Laute, zur Erkundung ausgesendete Menschen kehren nicht zurück, schließlich tauchen noch seltsamerere Kreaturen auf...
Kommentar: Die Kurzgeschichten sehen King in recht leichter, aber konzentrierter Form, während "Im Nebel" schon eher dem nahekommt, wofür man King sonst so kennt - dafür spricht wohl alleine schon die Tatsache, dass sich unzählige weitere Autoren dieses Szenarios, unterschiedliche Charaktere unter fremdartigen Umständen an einem Ort festzuhalten, bemächtigt haben (vor allem das vor zwei Jahren gelesene "Todesregen" von Dean Koontz entsprach diesem Topos ziemlich genau). Trotzdem ist King seinen Nachahmern immer noch einen Schritt voraus, wenn er wie hier beispielsweise einen eher unvollständigen, nicht perfekten Protagonisten wählt, der gelegentlich auch falsche Entscheidungen trifft und ab und an schlichtweg auch nur durch Glück überlebt. Eher schwach war dagegen mal wieder die Übersetzung - man merkt es leider nur allzu deutlich, wenn Übersetzer mit stehenden Wendungen und Begriffen der Originalsprache nichts anfangen können. Trotzdem: Eine nette Abwechslung.
Haruki Murakami - Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Inhalt: Tsuruku Tazaki wird zu Beginn seines Studiums sehr plötzlich von seinem Freundeskreis aus der Schulzeit ausgestoßen - mit der lapidaren Erklärung, er wisse schon, warum. In den Folgejahren vereinsamt Tazaki und macht sich zunehmend Selbstvorwürfe, die er in den bizarren Zusammenhang stellt, als einziger seines Freundeskreis keinen auf eine Farbe verweisenden Nachnamen zu haben, klammert sich aber an seine Arbeit als Architekt für Bahnhöfe und findet damit seinen Frieden - vorerst. Als er Jahre später eine Beziehung beginnt, ermutigt ihn die Freundin aber, sich diesem wunden Punkt seiner Biografie zu stellen und den Kontakt zu seinen ehemaligen Freunden erneut zu suchen...
Kommentar: Wohl so eine Art typischer Gesellschaftsroman von Murakami. Die Hauptfigur ist keine herausragende Persönlichkeit, sondern eben ein eher normaler, wenn auch - wie sich im Laufe der Handlung herausstellt - nicht wortwörtlich "farbloser" Mensch (überhaupt scheint die ganze Handlung darauf hinauszulaufen, dass es weniger der Charakter denn die soziale Einbettung eines Menschen ist, die seine Rolle und sein Wesen bestimmt), und die Dinge, die sie durchlebt, sind keine "Abenteuer" im engeren Sinne (allenfalls entspräche die Reise zu einem dieser Freunde nach Finnland diesen Punkt, aber selbst die wird hier halbwegs sorgfältig vorbereitet - Tazaki nimmt sogar Urlaub dafür). Das Drumherum ist dann ansonsten eine offenbar recht normale Beschreibung des Alltagslebens im Japan der 90er und 00er Jahre, was den Roman zwar einerseits gewissermaßen erdet, ihn andererseits aber eben auch nicht herausstechen lässt. Das führte zu der paradoxen Situation, dass sich der Roman zwar angenehm liest, aber dann wiederum auch keinen besonderen Nachhall findet.
Haruki Murakami - Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Inhalt: Der Erzähler wächst als Einzelkind auf - eine Eigenschaft, die er mit seiner besten Freundin der Schulzeit teilt. Nach einem Umzug verlieren die beiden sich aber aus den Augen. Im späteren Leben gründet der Erzähler nach einem eher tristen Job in einem Schulbuchverlag mit Unterstützung seiner Frau zwei recht erfolgreich laufende Jazzclubs - und just dort trifft er eines Tages seine Sandkastenfreundin wieder. Ist der Herr nun bereit, das nachzuholen, was er in seiner Jugend versäumt hat, und mag er dafür auch sein bisheriges Leben über Bord werfen?
Kommentar: Noch so eine eher gewöhnliche, teils gar melodramatische Story. Der etwas reißerische Titel der Originalübersetzung, "Gefährliche Freundin", klingt zwar ziemlich abgeschmackt, trifft den recht seifigen Charakter dieses Romans aber wesentlich besser als jener weitaus mehr intellektuellen Anspruch heischende der Neuübersetzung. Kein großes Werk liegt hier also vor, sondern leidlich unterhaltsame Gebrauchsliteratur. Einzig interessanter Aspekt ist vielleicht wieder mal die Tatsache, dass nicht alles in der Geschichte restlos aufgeklärt wird und viele Punkte der Biografien jener Freundin bis zum Ende offen bleiben. Das ist eine reizvolle Idee, aber gemacht wurde daraus eben auch nichts. Insofern habe ich also erst mal genug von Murakami.
Frank Goosen - Sechs silberne Saiten
Inhalt: Eine kleine Weihnachtsgeschichte: Holger, der sich als Enddreißiger eher schlecht als recht durchs Leben kämpft, trifft an Heiligabend einen Weihnachtsmann namens Udo, der in der Innenstadt auf der Gitarre Country- und Songwriter-Klassiker klampft. Damit nicht genug: Als er sich wenig später selber aus der Wohnung aussperrt, hilft ihm eine Ruhrpott-Omma aus der Klemme - und wenig später sammeln sich unerwarteterweise auch noch weitere Personen in Holgers Wohnung an, die alle ebenfalls von einem Weihnachtsmann mit Gitarre den Weg gewiesen bekommen haben wollen...
Kommentar: Tatsächlich eine nette, wenn auch recht kurze Story, deren Stoßrichtung zwar einigermaßen gewohnt ist (jede Menge verkrachter Existenzen springen an Weihnachten über ihren Schatten) und in diesem Genre eigentlich nur durch die Goosen-üblichen Verweise auf Größen der Popmusik (sowie das Ruhrpott-Setting) eigene Elemente einbringen kann, dafür aber wiederum nicht zu klischeehaft ausfällt und auch nicht zu sehr ausufert - wer's probieren mag, wird sicherlich für einen weihnachtlichen Vorleseabend das Ding in weniger als einer Stunde heruntergerattert bekommen. Ärgerlicher war da schon, wofür Goosen aber natürlich nichts kann, dass dieses Jahr die Erinnerung an die übliche und so gut wie nie reibungsfreie Weihnachts"stimmung" eher Wunden zu schlagen in der Lage ist. Aber so ist 2020 eben.
Orhan Pamuk - Das schwarze Buch
Inhalt: An einem Wintertag kehrt Anwalt Galip nach Hause zurück und muss feststellen, dass seine Frau Rüya ebenso verschwunden ist wie ihr Stiefbruder, der Zeitungskolumnist Celal. Natürlich steht für Galip fest, dass die beiden sich gemeinsam versteckt halten müssen - und so beginnt er eine buchstäbliche Odyssee durch das verschneite Istanbul, trifft die verschiedensten Leute, schlüpft gelegentlich in die Rolle von Celal und begegnet vor allem unzähligen Geschichten. Und über allem steht im weiteren Verlauf immer weiter die Frage: Wer ist wer, was ist Wahrheit und was ist bloßer Schein?
Kommentar: Natürlich ist auch dieser Roman vollgestopft mit Verweisen auf die Geschichte und Entwicklung der Türkei, speziell Istanbuls, und der umgebenden Gebiete, insbesondere des Orients. Anders als in den sonstigen Romanen, die ich von Pamuk bislang gelesen hatte, werden diese Ereignisse hier aber nicht erlebt (wie in "Diese Fremdheit in mir") oder symbolhaft in bestimmte Charaktere eingeflochten (wie in "Schnee"), sondern hier eben hauptsächlich indirekt durch eben die genannten Geschichten erzählt. Aber nicht nur bloß erzählt, sondern auf dieser metanarrativen Ebene auch miteinander verflochten, gegenübergestellt. Dabei ist auch das Kernthema - die Frage nach Identität, Mimikry, Urheberschaft und Nachahmung, und zwar in kultureller wie gesellschaftlicher Hinsicht - recht interessant. Leicht zu lesen war das Buch allerdings nicht - die Form brachte es eben mit sich, dass es seitenlange Absätze gibt statt kurzer, knapper Abfolgen wörtlicher Reden, und auch die Erzählstruktur, die aus jeweils einem Kapitel mit Galips Irrwegen im Wechsel mit Celals (oder Galips) Kolumnen besteht, macht es da nicht einfacher. Ich habe also - zumal ich ja nur an Wochenenden zum Lesen gekommen bin - mehr als einen Monat an diesem Schinken gelesen. Somit ist wohl verständlich, dass danach dann erst mal leichtere Sachen gefragt waren.
Frank Goosen - Weil Samstag ist
Inhalt: Frank Goosen erzählt in teils essayistischer, teils episodenhafter Form von seiner Vorliebe für den Fußball, und zwar von der alljährlichen Leidensgeschichte als Anhänger des VfL Bochum, als Familienvater beim Versuch, diese Leidenschaft auch dem Nachwuchs angedeihen zu lassen, bei Pokalspielen und schließlich als mehr oder weniger involvierter Zuschauer bei der Weltmeisterschaft 2006 und der Europameisterschaft 2008.
Kommentar: Erneut recht leichte, aber unterhaltsame Kost, wenn auch nicht unbedingt Literatur, bei der man sich vor Lachen kringelt. Dazu ist das Geschehen - auch gerade durch den Ruhrgebiets- und Bochum-Bezug teils eben doch zu tragikomisch. Ansonsten ist wohl der einzige nennenswerte Makel dieses Buchs der Umstand, dass es doch ein wenig zusammegeklaubt wirkt (was offenbar tatsächlich der Fall war, zumal Goosen sein Material hier aus eigenen Kolumnen, Artikel und Blogbeiträgen zusammengetragen hat).
Olaf Schubert & Stephan Ludwig - Wie Dirk B. lernte, den Kapitalismus zu lieben
Inhalt: Als Hilfslehrer an einer alternativen Schule pflegt Dirk Bergfalk ein wenig erfülltes Leben, das ihm ebenso wie der fahrige Umgang mit seinem ohnehin schwierigen, weil passiv-aggressiven Sohn Meino als Versager erscheinen lässt - mehr noch, als ihm seine Frau, die Bankerin Albina, den Laufpass gibt. Doch die ebenso mysteriöse wie unlöschbare, zugleich bestens informierte App mit dem ominösen Namen "Weltenmeister" scheint Rat zu wissen, wie Dirk in der kapitalistischen Wirtschaft wieder und stärker denn je auf die Beine kommt. Oder auch nicht, denn fortan schlingert Dirk in all seinen Versuchen - u.a. als Vertreter, Bestattungshelfer, Lokalpolitiker - nur noch von einer Kalamität in die nächste...
Kommentar: Eins vorweg: Mit dem Stil, für den man Olaf Schubert als Kabarettisten kennt, hat dieses Buch kaum etwas gemeinsam. Allenfalls die teils - wie das Buch auch selber anmerkt - arg Kalenderspruch-artigen Weisheiten des "Weltenmeisters" gehen in ihrer schlitzohrigen Aussagelosigkeit ein wenig in diese Richtung. Ansonsten ergibt sich eine teils ein wenig gewöhnlich (was wohl auf die Routine des Krimiautors Stephan Ludwig zurückgehen dürfte) erzählte, aber entsprechend angenehm luftige Tragikomödie, deren einziger echter Mangel das eher angeflanschte Deus-Ex-Machina-Ende ist, wenn auch Dirk B. hier subversiverweise erst aus all seinen Miseren befreit wird - und dann, soviel spoilere ich mal, von den Autoren in Person wieder in die Nicht-Existenz seiner bloßen Fiktionalität hinabgestoßen wird. Na, kann man lesen.