Ebenfalls zu Weihnachten bekommen und nach zwei Tagen durch gehabt: "Qualityland" von Marc-Uwe Kling. In meinem Freundeskreis und meiner Familie bekam damals jede*r von jeder/m Die Kängurubücher geschenkt, wodurch der sich in meinem Rezeptionsverhalten häufig wiederholende Effekt eintrat, dass ich eines Werks, das mir eigentlich gut gefiel, aufgrund des Diskurses drumherum überdrüssig wurde und den Künstler nicht länger verfolgte. Meine Mutter hatte die Trilogie auch bekommen und dachte sich anscheinend, dass sie mir mit dem neuen Buch einen Gefallen tun würde.
Ich ging von leichter Kost für zwischendurch mit ein paar angenehmen politischen Aussagen aus. Weit gefehlt: Zwar ist der Schreibstil nach wie vor unbeschwert-komisch und damit typisch, die Story allerdings ist für mich nicht weniger als 1984 2.0. Ich fragte mich schon die ganze Zeit: Was würde Orwell eigentlich dazu sagen, dass sich die Welt so stark verändert, dass die Menschen nicht von einem totalitären Regime beherrscht werden, sondern durch Clicks und Likes? Das passiert hier. Jeder Mensch lebt unbeschwert mit seinesgleichen in einer Seifenblase, die von Algorithmen strukturiert wird und das Leben zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung macht. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, besonders gefällt mir die Idee, dass - obwohl Konsum der zentrale Antrieb hinter dem System bleibt - die Menschen ihr Zeug nicht mehr selbst bestellen müssen. Macht deine Freundin mit dir Schluss, so tut sie das über eine Platform. Dadurch steigst du ein paar Level ab, woraufhin eine Drohne mit einem Sechserträger Bier zu dir nach Hause geschickt wird. Den trinkst du aus und gehst pennen, am nächsten Tag siehst du, dass du durch den Alkoholkonsum Punkte bei deiner Krankenversicherung verloren hast und gehst ins Fitnessstudio, um die Punkte wieder aufzufüllen usw.
Einen Tag, nachdem ich das Buch fertig hatte, erschien ein Artikel über ein neues staatliches soziles Bewertungssystem in China. Die Politikwissenschaftlerin Katika Kühnreich wies im Interview mit Spiegel Online darauf hin, dass es leichtsinnig wäre, dieses Phänomen auf totalitäre Strukturen in einem fremden Land zu schieben, da auch Menschen in Westeuropa durchaus sehr empfänglich für derartige Systeme sei.
http://www.spiegel.de/netzwelt/netz...onto-sie-alle-zu-kontrollieren-a-1185313.html
Wahnsinn. Da erscheint im September eine Dystopie und im Dezember wird sie eingeholt. Bald kann man die Titel von so etwas Abstraktem wie "1984", "Brave New World" oder "Qualityland" abwandeln zu ganz konkreten Settings mit Arbeitstiteln wie "Nächsten Monat wird's eklig".