Ich foltere euch im heutigen Beitrag mit einem vergleichenden Mumpitz, aber sicherheitshalber SPOILERWARNUNG:
VS.
The Blair Witch Project (1998) vs.
Blair Witch (2016)
Found Footage Horror oder auch Horror vom Ramschladen, ist vor allem billig, denn gemäß der Prämisse, dass im Zuge der zunehmenden Verbreitung von Handvideogeräten auch jeder Filme machen oder eben paranormalen Mumpitz festhalten kann, kann auch die Produktion auf allerlei Technik und Personal verzichten. Dass dabei neben zahllosen Amateurpornos, die die Eltern jahrzehntelang vor ihren Kindern zu verstecken suchen, auch viel Scheiße rausgekommen ist, ist wohl den meisten hier bewusst. Dieses Filmduo verkörpert das wunderbar.
Zur Linken haben den Film, der das Genre überhaupt erst viral wie Hepatitiserkrankungen nach einem Hochwasser in Südostasien hat gehen lassen. Drei Studenten gehen in einen Wald, um eine Doku über einen Hexenmythos zu drehen, verirren sich und finden die Hexe. In der rechten Ecke sehen wir sowas wie ein Sequel, darin sechs Leute mit unterschiedlichsten Motiven, die sich teils nicht kennen, die sich verlaufen und die Hexe finden. Mein Standpunkt ist simpel, links ist Found Footage par excellence, rechts ist scheiße.
Fangen wir bei der Technik an, denn die ist ja die Basis des Genres. TBWP hat drei Figuren, zwei Kameras mit Kassetten (eine mit Farbaufnahmen, eine mit S/W-Aufnahmen), eine Karte, einen Kompass, Laufzeit 78 Minuten, passt. BW hat nach meinem Gedächtnis mindestens neun Digitalkameras verteilt auf sechs Figuren, GPS, Smarschphones und eine dieser nervigen Dronen, Laufzeit 90 Minuten. Allein in dieser Aufstellung haben wir einen Kontrast von dem, was dieses Genre eigentlich ist oder war, nämlich einfach, simpel und (im neutralen Sinne) billig, und dem, was aus diesem Genre entstanden ist, nämlich aufgeblähter technischer Overkill jenseits aller Plausibilität. Denn natürlich haben vier der Figuren Kopfkameras, die wie billige Freisprecheinrichtungen aussehen, und obwohl Speicherkarten aus allen Kameras gesichert worden sein sollen, die rund um die Uhr liefen, fehlen Aufnahmen einer angeblich fünftägigen Odyssee, die voll von Verfolgungen durch die Hexe gewesen sein müsste.
In TBWP funktionieren beide Kameras dergestalt, dass sie eingeschaltet werden, nachdem etwas geschehen ist oder während kritischer Gespräche, um alles weitere festzuhalten, dabei wird der Schnitt zwischen Farb- und S/W-Aufnahmen solide nach ästhetischen Gesichtspunkten oder eben der Handlung vorgenommen, eben wenn aus einem Buch für die Dokumentation vorgelesen wird. Das Authentische hierbei ist, wir erleben, wie die Protagonisten die Kameras ein- und ausschalten, sie kommentieren es, erzählen, was wir verpasst haben, und genauso filmt man ja auch unerwartetes. Der Horror entsteht durch die Ungewissheit, Unsichtbarkeit, wir sehen sogar weniger als die Figuren.
In BW laufen die Kameras rund um die Uhr, wir bekommen einen optimalen Zusammenschnitt aller Ereignisse serviert, sehen alle Effekte, die wir sehen sollen. Dabei werden uns auch noch permanent die Kameras in die vierte Wand gehalten. Es ergibt an vielen Stellen einfach keinen Sinn, warum eine Kamera gerade zu diesem Zeitpunkt eingeschaltet sein sollte. Auch Digitalkameras haben begrenzte Laufzeit und Speicher, es würden also nicht vier-fünf Kameras ihre Kapazitäten verschwenden, wenn ein Trott durch den Wald gefilmt wird. Die Kameras behindern einfach die Authentizität durch ihre Omnipräsenz. Wenn es denn mal reichen würde, diese Deppen filmen, wie jemand etwas doppelt über Hand- UND Kopfkamera filmt. Zudem sind die Einstellungen, etwa das allseits beliebte Foreshadowing oder wiederholtes voyeuristisches Filmen von Verletzungen einfach fehl am Platz, wenn eben nicht das allsehende Auge des Zuschauers die Kamera sein soll, sondern eine der handlungstragenden Figuren. Auf diese digitalen Aussetzer, die man unbedingt einarbeiten muss, um ja daran zu erinnern, dass das Digitalkameras sind oder eben um Schnitte zu kaschieren, kann ich auch mein restliches Leben verzichten. Nein, die Kamera geht nicht plötzlich kaputt, weil ihr Träger stirbt, die filmt noch weiter den Waldboden, bis ein Wildschwein draufscheißt oder Akku/Speicher nicht mehr können. Falls sich in dem Kameraoverkill irgendwelche Metakommentare zum Genre oder zur Gesellschaft verstecken, habe ich sie nicht gefunden aber auch nicht gesucht.
Kommen wir also zu den Figuren. Links haben wir drei Normalos, Studis mit Drogen und Alkohol, die ihr Projekt angehen. Sie kennen sich, streiten sich, verlieren die Nerven, nichts davon wirkt überzeichnet, geradezu banal. Die Spannungen in der Gruppe entstehen, weil sie mehrere Tage in einer Extremsituation aufeinander hocken. Rechterhand haben die allseits beliebten Schablonen, der Städter, der Nerd, der Held, das Opfer, die Spannungen in der Gruppe entstehen aus gegensätzlichen Motiven, jeder macht seinen eigenen Scheiß und die Figuren bleiben einem herzlich egal, ganz gleich wie viel sie durch die Botanik rennen und Namen schreien.
Selbst Raum und Zeit sind trotz der 12 zusätzlichen Filmminuten in BW der Belanglosigkeit überantwortet, ein Tag - schon eskalieren Gruppenspannung und Hexe, dabei ist die Gruppe nur über einen Fluss und bis zum Lagerplatz gelangt. In TBWP haben wir auf 78 Minuten eine Waldodyssee, die eine ausgeschmückte Handlung ersetzt, dafür fühlt es sich tatsächlich so an, als hätten sich die Leutchen verlaufen, sie werden immer geschwächter, ausgelaugter, zermürbter, verängstigter. Im Vergleich dazu erscheint BW als kurze Treibjagd. TBWP zeigt uns die Vorzüge einer langsamen Erzählweise.
Bleibt noch der Horror. TBWP funktioniert durch das Unbekannte, das Ungesehene und die Reaktionen der Figuren darauf, wir sehen die Hexe nicht, nur ihre Wirkung. Hinzu kommt etwas, das ich hier als Charme der Unschärfe bezeichnen möchte. Schlechte Auflösung/Qualität lässt uns nicht alles bis ins Detail erkennen und so suchen die Äuglein hier und da zwischen dem Blattwerk. BW funktioniert mit zwei Methoden, 1. Ankündigung und Jumpscare, wobei entweder eine der Arschlochfiguren einfach mit lautem Knall ins Bild springt oder eben etwas laut knallt und wir einen feuchten Kehricht sehen; und 2. wir sehen die Hexe, meistens mit Jumpscare und lautem Knall. Also Jumpscares und ein bisschen Splatter. Wobei ich zugute halten muss, dass BW sich zumindest zum Ende hin am Charme der Unschärfe versucht, auch wenn es im Widerspruch zur übrigen Qualität der Aufnahmen steht.
Hier haben wir wieder zwei Gegenpole, die Unwissenheit und die Allwissenheit des Zuschauers. Die Unwissenheit lässt uns teilhaben, die Allwissenheit degradiert uns zu selbstgerechten Voyeuristen. Ersteres erzeugt Horror, zweiteres Unterhaltung.
Das soll aber auch reichen, habe ja noch ein halbes Dutzend anderer Filme, mit denen ich euch eure Lebenszeit rauben kann.
The Blair Witch Project 7/10
Blair Witch 2/10