Round Four - choose your fighter!
88. Neal Morse - Jesus Christ the Exorcist (USA, 2019)
Und siehe, das Wort des Herrn geschah zu Neal, seinem getreuen Diener: Wahrlich, wahrlich, ich trage dir auf, vertone Leben, Tod und Kurzcomeback meines geliebten Sohnes. Denn deine Musik ist mir eine Freude, und das Himmelreich erstrahlt im hellsten Lichte, lasse ich dein bärtiges Licht (Beste!) in all seiner Herrlichkeit akustisch leuchten. Und das Werk, das du schreiben wirst, soll aus zwei Akten bestehen, Akt I und Akt II. Und in Akt I sollst du gleich zur Sache kommen und den ganzen Weihnachtskitsch mit Nichtachtung strafen, du sollst dem gehörnten Männlein aus dem Untergeschoss das einprägsamste Thema des Werkes zukommen lassen ("Jesus' Temptation", man lausche hier: ), den zahlreichen pösen Geistern, die den armen Gerasener plagen, sollst du in bester "Thoughts"-Manier ihre Stimmen verleihen, von denen du übrigens eine sein wirst, ja, du hast richtig gehört, den Menschensohn gibt Ted Leonard, du darfst den kleinen Chelm aber später als Pilatus ans Kreuz schicken. Und siehe, in Akt II soll dein alter Spock's-Beard-Kumpel Nick D'Virgilio seinen großen Auftritt als Judas Iskariot haben, und sein trauriger Abgang soll der dramatische Höhepunkt des Werkes sein. Und da darüber hinaus ja ohnehin jeder weiß, wie die Geschichte ausgeht, sollst, nein, wirst du am Ende nicht ganz so dick auftragen, mein Lieber! Doch sieh dich vor, in der Szene wird sein Heulen und Zähneklappern ob des Werkes Titels und Thematik, dein ergebener Jünger
@Prog on! allerdings wird es lieben, listen und loben, auf dass sich weitere Inhaber aufgeschlossener, dem Schmalz nicht vollends abgeneigter Ohren aufmachen werden, es zu erkunden und letztlich ins Herz zu schließen. Amen.
87. Caligula's Horse - In Contact (AUS, 2017)
Moderner, möglicherweise gar leicht alternativ angehauchter Progressive Metal ist in meinem Universum nicht immer ein ungetrübter Ohrenschmaus, und so gefällt mir das Frühwerk des Kaisers edlen Beutelpferdes auch "nur" gut (okay, "Bloom" vielleicht auch gut plus), doch das, was auf "In Contact" geboten wird, spottet wahrlich jeder Beschreibung, und das natürlich im positiven Sinne, schließlich dürfte man tatsächlich mal so eben die Melodien des Jahres 2017 geschrieben haben (und ja, ich weiß, dass dies das "Legends of the Shires"-Jahr ist...), um diese dann in Song-Monumente wie den zunächst etwas sperrig anmutenden Opener "Dream the Dead" (
https://m.youtube.com/watch?v=Ipi6UgznmlE), das wunderbar verträumte "The Hands Are the Hardest" (diese Gitarre!) und das alles überragende "Songs for No One" (dieser Chorus!) kongenial einzuflechten (vom abschließenden 15-Minüter "Graves" reden wir erst gar nicht). Goldkehlchen Jim Grey erinnert mal an Hakens Ross Jennings in (noch) besser, mal an eine gemäßigtere Variante von Leprous' Einar Solberg, Sam Vallens Gitarrenspiel, mal klassisch, mal fast schon djentig, dabei stets eine Wohltat, drückt jedem Song unverkennbar seinen Stempel auf, und der Anglist in uns erfreut sich an den zahlreichen Shakespeare-Allusionen ("Will's Song", "Capulet", ...) sowie der gelungenen, an manchen Tagen gar Gänsehaut erzeugenden Poetry-Slam-Einlage, die dem - wie könnte es anders sein - großartigen "The Cannon's Mouth" vorangestellt ist. Bei so vielen erlesenen Zutaten bliebt man doch ausgesprochen gern in Kontakt, auch langfristig.
86. Arena, The Visitor (UK, 1998)
Mein erster Kontakt mit Arena und diesem Album war der Song "A Crack in the Ice", der sich seinerzeit auf einer Rock-Hard-Dynamit-CD verirrt hatte. Nun würde ich gern ehrfürchtig von Liebe auf den ersten Blick und einem "life-changing moment" schwärmen, allein es wäre nicht die Wahrheit. Als damals überzeugter (Euro-)Power-Metaller dürfte ich den Song noch nicht einmal zu Ende gehört haben, ballerte halt nicht so geil wie Hammerfall. Hach, die jungen Leute...
Ein Vierteljahrhundert später ist die Lage eine völlig andere, man kennt die komplette Arena-Diskographie in und auswendig, schätzt im Grunde jedes einzelne Werk der Briten, und sucht dann doch meist eine der drei Lieblingsarenen auf, also "The Visitor" oder ... eine der beiden anderen. Der Besucher bietet bandtypischen Neoprog nach feinster englischer Art mit großen Melodien, die schon relativ früh in Langzeitspeicher abgelegt werden, sich aber dennoch nicht abnutzen, außergewöhnlich gefühlvollem Gesang (leider verließ Paul Wrightson nach diesem Album die Arena vorzeitig) und einer ungemein fesselnden Atmosphäre, die infolge der Auseinandersetzung mit dem übergeordneten lyrischen Konzept noch deutlich an Intensität gewinnt. Der beste Song der Platte ist womöglich das tieftraurige "The Hanging Tree", als Anspieltipp fungiert freilich "A Crack in the Ice" (
https://m.youtube.com/watch?v=3iHuI9EuF9U) - aus historischen Gründen (s.o.).