[Top of the Progs - 100 Meisterwerke] - Prog-on's Liste

Und weiter geht's...

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94. Steven Wilson - Hand. Cannot. Erase (UK, 2015)
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Albums schrieb irgendein Magazin (Visions?) etwas vom "The Wall" der Generation Facebook. Nun mag es treffendere Vergleiche in der Geschichte des Musikjournalismus gegeben haben, doch lässt sich das Geschriebene nicht vollends von der Hand weisen; atmosphärisch und hinsichtlich des enormen musikalischen und konzeptuellen Anspruchs kommt das schon hin, was die musikhistorische Bedeutung des Werks angeht..., nun ja, immerhin reicht's recht deutlich für diese prestigeträchtige Liste - und das auch völlig zurecht, denn musikalisch wird (wie eigentlich immer bei Mr S Wilson) Großartiges geboten. Aber was genau? Nun, der aphone Rabe ist aus- bzw. zurück in die 70er geflogen; "Hand. Cannot. Erase" ist düsterer (ohne tieftraurig zu sein), femininer (man beachte Storyline und Farbgebung des Artworks und lausche gebannt der Performance der wunderbaren Ninet Tayeb im Albumhighlight "Routine"), punktuell metallischer ("Ancestral"), dabei gleichzeitig poppiger (der Titelsong ist ein veritabler Hit, bitte sehr: ) und bereitet letztlich in gewisser Weise auch den beiden polarisierenden Nachfolgern den Weg (ich mag sie ja...). Generell darf man gespannt sein, wie es im Hause Wilson musikalisch weitergeht, auch und insbesondere vor dem Hintergrund der Porcupine-Tree-Reunion. Und die Frage, wo genau der Rabe gelandet ist, bedarf ebenfalls noch der Klärung...

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93. Headspace - I Am Anonymous (UK, 2012)
Und weiter geht's mit den Wilson-Festspielen dieser Runde - exit Steven, enter Damian. Herausragender Gesang ist somit garantiert, und natürlich drängt sich die Frage auf, wie sehr das Album nach Threshold klingt. Überraschende (?) Antwort: Gar nicht mal so sehr. "I Am Anonymous" ist deutlich weniger leicht zugänglich als jedes Threshold-Album. Am ehesten taugen die Dream Theater der frühen 2000er-Jahre als Referenz; speziell "Six Degrees" ploppt immer mal wieder auf - etwa in "Daddy Fucking Loves You", der besten Viertelstunde des Albums (https://m.youtube.com/watch?v=fJtD2OYB4O8) - was auch und insbesondere der petrucciesken Gitarrenarbeit von Pete Rinaldi (wo kam der damals eigentlich plötzlich her?) geschuldet ist. Yes, "I Am Anonymous" ist ganz klar ein Gitarrenalbum, was man bei einer Beteiligung des Namen Wakeman (Sohnemann Adam, nicht Papa Rick) vielleicht nicht unbedingt vermutet hätte. Textlich geht es um die großen inneren Kämpfe des Lebens, wobei dies alles in eine nicht allzu leicht zu entschlüsselnde Kriegsmetaphorik gehüllt ist; zumindest ich arbeite noch dran. Letzteres sei auch allen empfohlen, die dieses musikalische Kleinod (noch) nicht kennen - die Mühen lohnen sich!

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92. Leprous - Pitfalls (NOR, 2019)
Der Begriff "Gesamtkunstwert" wird für meinen Geschmack teilweise doch recht inflationär verwendet, hier jedoch ist er unbedingt angebracht. Klar, jeder der neun Songs ist auch für sich betrachtet ganz wunderbar, gönnt man sich jedoch das Album am Stück, spürt man sich sofort einem einzigartigen Spannungsbogen unterworfen und sieht nach hinreichend vielen Durchläufen, wie sich die einzelnen Puzzleteile vor dem geistigen Auge förmlich von selbst ineinanderfügen. Die erste Hälfte des Albums ist sehr ruhig, eindeutig nah am Pop gebaut, man muss sich mit ungewohnten Zutaten wie programmierten Drums und Celloakzenten arrangieren (was aber ausgezeichnet gelingt, nicht zuletzt auch wegen Einar Solbergs überirdischer Gesangsperformance, die alles zusammenhält), dann folgt die knapp vierminütige Halbzeitansprache "Alleviate", welche im Laufe der dritten Minute geradezu explodiert; danach ist das Album ein anderes. Die nun folgenden Songs sind weniger fragil (Ausnahme: "Distant Bells", zumindest anfangs), wirken trotziger, selbstbewusster und erinnern jetzt schon ein wenig an die Leprous der "Coal"-"The Congregation"-Malina"-Phase. Das abschließende "The Sky Is Red" hingegen ist ein Fall für sich, ein Monster von einem Song, welches nach knapp sieben Minuten Wahnsinn in ein die restlichen gut vier Minuten füllendes Break mündet, das von einem Gänsehaut erzeugenden, dabei gleichzeitig sensationell minimalistischen Cellomotiv getragen wird (https://m.youtube.com/watch?v=N8vw086Ta7Y) - möge die Nummer auf ewig der Rausschmeißer eines jeden Leprous-Konzerts bleiben! Und - noch viel wichtiger - möge Einar Solberg die inneren Dämonen im Zuge der Erschaffung dieses, jawoll, Gesamtkunstwerts ein für allemal besiegt haben!

Die Headspace vor "Black Clouds..." ist schon eine Nummer, unterstreicht aber nur noch mal, wie geil die Listungen hier sind. Absolut unvorhersehbar und gerade deshalb so wertvoll.

(Eingeschobener) Edit - und ich erlaube mir mal, in Deinen Faden einen Link zu setzen und zwar auf das zurecht gefeierte "Routine" von Steven Wilson, das auch völlig losgelöst vom Konzept des Albums funktioniert - und gerade in Verbindung mit dem dazugehörigen Video nicht nur große Kunst ist, sondern ein melancholisch-emotinales-musikalisches Highlight:

https://www.youtube.com/watch?v=sh5mWzKlhQY

Ansonsten: natürlich 3 großartige Alben, die hier genannt sind, in meiner Sammlung stehen und denen ich so regelmäßig huldige, wie es all' die anderen großartigen Alben in meiner Sammlung und diese speziell in letzer Zeit hohe Schlagzahl an spannendem Zeug, das hier im Forum gepostet wird, zulässt.
 
Zuletzt bearbeitet:
(Eingeschobener) Edit - und ich erlaube mir mal, in Deinen Faden einen Link zu setzen und zwar auf das zurecht gefeierte "Routine" von Steven Wilson, das auch völlig losgelöst vom Konzept des Albums funktioniert - und gerade in Verbindung mit dem dazugehörigen Video nicht nur große Kunst ist, sondern ein melancholisch-emotinales-musikalisches Highlight:

"Routine" war auf der zugehörigen Tour, auf der das komplette Album gespielt wurde, in Kombination mit eben dieser Visualisierung DAS Highlight des Abends. Ich wusste gar nicht, dass dies auch das offizielle Video zum Song ist, insofern: Vielen Dank fürs "Reingrätschen"! :top:
 
On we go...

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91. Symphony X - The Damnation Game (USA, 1995)
Hach, was waren das goldene Zeiten, als Symphony X noch genau diesen Sound auf die Menschheit losließen: barock anmutende Keyboardabfahrten, Michael Romeos filigranes Flitzefinger-Gitarrenspiel (okay, das gab's eigentlich quer durch die Banddiskographie...), mehrstimmige Bombastrefrains á la Queen (von denen auf diesem Album aber wirklich JEDER sowas von perfekt sitzt!), dazu ein göttlich singender Russell Allan, der nicht versucht, wie John Bush zu Anthrax-Zeiten zu klingen - Träumchen! Eben jenen Stil haben sie auf den beiden Folgewerken "The Divine Wings of Tragedy" und "Twilight in Olympus" sowie mit Abstrichen auch auf "V" womöglich noch perfektioniert; "The Damnation Game" hat hingegen etwas vom "Ungeschliffenen-Rohdiamant-Charakter" des legendären Dream-Theater-Debüts (welches qualitativ natürlich nochmal in einer höheren Liga spielt, klar). Anspieltipp? Ein jeder der acht Songs repräsentiert das Album eigentlich ziemlich gut, am allergroßartigsten ist vielleicht das abschließende "A Winter's Dream" (https://m.youtube.com/watch?v=18DtlhhOdwU).

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90. Between the Buried and Me - Coma Ecliptic (USA, 2015)
BTBAM finde ich mindestens seit dem "Alaska"-Album toll, doch erst mit "Coma Ecliptic" sind sie dort angekommen, wo ich sie immer haben wollte. Bei aller spieltechnischen Klasse und allen liebenswert irren Wendungen und Kuriositäten in den meist überlangen Songmonstern, was mir bis dato fehlte, waren Hooklines, an denen man sich in all dem Chaos und Gebrüll zumindest ein wenig entlanghangeln konnte, sowie ein generell songdienlicheres Vorgehen (nichts gegen sechs, sieben abrupte Stilwechsel in einem Zwölfminüter, kann man schon machen, ist dann halt anstrengend, mal mindestens auf Albumlänge). Genau diese beiden Baustellen sind BTBAM auf "Coma Ecliptic" erfolgreich angegangen; es finden sich großartige (Gesangs-)Melodien, die mal an Steven Wilson ("Node"), mal an James LaBrie ("Famine Wolf") erinnern, die Songs selbst sind deutlich kompakter (nur das überragende "Memory Palace" kratzt an den zehn Minuten, Anspieltipp, bitte sehr: ), in sich geschlossener, nachvollziehbarer, letztlich einfach (noch) besser. Selten war die abgedroschene Floskel "weniger ist mehr" somit angebrachter, wobei natürlich zu bedenken ist, dass in diesem Fall "weniger" immer noch "verdammt viel" bedeutet.

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89. Psychotic Waltz - The God-Shaped Void (USA, 2020)
Keine Scheibe dürfte in den letzten gut drei Jahren die heimischen Hallen häufiger beschallt haben als das so lange so sehr herbeigesehnte, teilweise nicht mehr für möglich gehaltene und letztlich doch noch fleischgewordene Comebackalbum von Psychotic Waltz. Und das kommt natürlich nicht von ungefähr, hat "The God-Shaped Void" die himmelhohen Erwartungen doch mindestens erfüllt, vielleicht sogar übertroffen. Klar, die bahnbrechenden ersten beiden Alben sind auf ewig nicht zu toppen, aber der dritte Platz im bandinternen Ranking erscheint nach drei Jahren Dauerrotation zunehmend gefestigt (die süßlich riechende Stechmücke jedenfalls wurde definitiv kassiert). Auf einzelne Songs einzugehen, erscheint mir an dieser Stelle wenig angebracht, da ihr Nasen das Album ja sowieso alle kennt, daher nur so viel: "While the Spiders Spin", "Demystified" und "Sisters of the Dawn" (https://m.youtube.com/watch?v=JsH-t9Aa_sQ) werden auch in 50 Jahren noch von der Prog-Gemeinde (sofern noch existent) abgefeiert werden; beim Genuss von "All the Bad Men" hingegen wird man lächeln und sagen: "Nun ja, Aluhüte waren damals halt in..."
 
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Symphony X: sensationelle Scheibe, natürlich!!

BTBAM: kenne ich nicht, höre ich jetzt rein....

Psychotic Waltz: schwer zu sagen, da natürlich eigentlich geil, ich jedoch nach bestimmt zwei Dutzend Spins immer noch das Gefühl verspüre, die Scheibe nicht oft genug gehört zu haben um ein Urteil abzugeben...puh, Prog kann ja manchmal soooo "schlimm" sein
 
Ein fettes Like für "Coma Ecliptic" ! Auch wenn mein Fave wohl auf ewig mein Erstkontakt "Colors" bleiben wird, kann ich deine Einschätzung doch komplett nachvollziehen. Die Konzerte in München und Karlsruhe auf der aktuellen Tour waren auch wieder göttlich. :verehr::verehr::verehr:
Von der Coma Ecliptic gab es das Doppel "Dim Ignition/Famine Wolf". Was für eine phantastische Band!
 
Ich finde die "Coma Ecliptic" ja merkwürdigerweise nicht so gut wie die Vorgänger, weil zu viel gesungen wird. Mein Favorit ist die "Parallax"-EP, die ich aber nicht drin habe, weil EP. Ob eine andere kommt?
 
Ein fettes Like für "Coma Ecliptic" ! Auch wenn mein Fave wohl auf ewig mein Erstkontakt "Colors" bleiben wird, kann ich deine Einschätzung doch komplett nachvollziehen. Die Konzerte in München und Karlsruhe auf der aktuellen Tour waren auch wieder göttlich. :verehr::verehr::verehr:
Von der Coma Ecliptic gab es das Doppel "Dim Ignition/Famine Wolf". Was für eine phantastische Band!
Bin am 20. März in Colonia am Start und freue mich jetzt schon wie ein Schnitzel!
 
Da ich heute Abend sowohl Zeit als auch Muße hatte, hier gleich die nächsten drei...

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97. Heaven's Cry - Food For Thought Substitute (CAN, 1996)
Heute morgen auf dem Weg zur Arbeit habe ich genau dieses Album nochmal aufgelegt, um zu eruieren, ob das gute Stück womöglich gar ein Kandidat für die Top 90 (oder gar noch mehr?) ist. Test nicht bestanden, wie man sieht, dennoch ist "Food For Thought Substitute" eines der stärksten Prog-Metal-Debüts der 90er, vielleicht sogar generell. Klar, man hat offenbar ziemlich viel Psychotic Waltz gehört (der knackige Opener "My God's Cry"), doch verarbeitet man auch weitere feinste Zutaten in gekonnter Weise, so etwa Shadow Gallery (der Anfang von "The Alchemist") oder auch "Grace under Pressure"-Keyboards und Bombast à la Queen (beides nachzuhören im überragenden "Gaia's Judgement", am besten gleich hier: ), liefert dabei jedoch ein absolut koheräntes Gesamtbild ab, ohne auch nur ansatzweise wie ein plumpes Plagiat zu wirken. So gut waren sie dann leider auch nie wieder, auch wenn das vierte und bis dato letzte Album "Outcast" zumindest annähernd auf Augenhöhe agiert.

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96. Spock's Beard - V (USA, 2000)
Da isser schon wieder, der Neal, und diesmal hat er auch Bruder Alan und die Kumpels Dave, Nick und Ryo dabei. Außerdem im Gepäck: Album Nummer, genau, 5, nein, wohl nicht das stärkste der Bärte, aber womöglich das mit dem dramaturgisch perfekten Aufbau: Alpha und Omega bilden zwei wahrhaft göttliche (Ultra-)Longtracks, die die komplette Spock's-Beard-Palette in all ihren schillernden Farben wunderbar abbilden; in der Mitte tummeln sich kurze, knackige 4-6-Minüter, die sich qualitativ zwischen "überragend" ("All on a Sunday") und "sehr gut" ("Revelation") bewegen. Zwei Jahre späte wurde es mit dem Sechstwerk "Snow" ein wenig weniger göttlich, dann stieg Neal aus, und Spock's Beard wurden eine andere Band. Leider nicht mehr meine.

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95. Alkaloid - Liquid Anatomy (D, 2018)
Lange, wirklich lange habe ich überlegt, ob dieses Album in diese Liste gehört. Ja, gehört es, Punkt, schließlich beantwortet es im Opener "Kernel Panic" eine Frage, von der man zugegebenermaßen nie geglaubt hätte, dass sie sich jemals stellen würde: Wie würden Yes klingen, würden sie Morbid Angel spielen? Nach einem "Owner of a Lonely Heart"-mäßigen Beginn mit integriertem Stadionrock-Riff wähnt man sich in relativer Sicherheit, bevor nach gut zwei Minuten mehr oder weniger unvermittelt die Hölle über einen hereinbricht. Nach knapp 30 Sekunden ist der Spuk (vorerst) wieder vorbei, der bzw. die mit dem einsamen Herzen ist zurück, und man fragt sich ernsthaft, ob man gerade einem Fehler in der Matrix aufgesessen ist - doch dann gibt's schon wieder auf die Fresse, es scheint also real zu sein (wessen Neugier geweckt ist: https://m.youtube.com/watch?v=si9RaeeCUXI). Tja, und so geht das im Prinzip noch eine ganze Stunde lang weiter, das muss man aushalten. Zugegeben, es gibt Tage, an denen das nur schwerlich geht ("Chaos Theory and Practice" etwa kann akuten Kopfschmerz generieren, manchmal bereits bei der bloßen Lektüre des Songtitels); es gibt jedoch auch solche, an denen einem "Liquid Anatomy" ein an Intensität kaum zu toppendes Musikerlebnis beschert, wobei der abschließende, knapp 20-minütige Ultra-Longtrack "Rise of the Cephalopods" der extragroßen Kirsche auf der meterdicken Sahne gleichkommt. Wer das Album für alle Lebenslagen sucht, ist hier definitiv falsch; der Vorgänger "The Malkuth Grimoire" ist dies ebenfalls nicht, spielt aber qualitativ in derselben Liga.

Heaven's Cry ist bis auf den suboptimalen Sound ein Mega Album. Habe ich gerade eben in den Player eingeschoben....
 
On we go...

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91. Symphony X - The Damnation Game (USA, 1995)
Hach, was waren das goldene Zeiten, als Symphony X noch genau diesen Sound auf die Menschheit losließen: barock anmutende Keyboardabfahrten, Michael Romeos filigranes Flitzefinger-Gitarrenspiel (okay, das gab's eigentlich quer durch die Banddiskographie...), mehrstimmige Bombastrefrains á la Queen (von denen auf diesem Album aber wirklich JEDER sowas von perfekt sitzt!), dazu ein göttlich singender Russell Allan, der nicht versucht, wie John Bush zu Anthrax-Zeiten zu klingen - Träumchen! Eben jenen Stil haben sie auf den beiden Folgewerken "The Divine Wings of Tragedy" und "Twilight in Olympus" sowie mit Abstrichen auch auf "V" womöglich noch perfektioniert; "The Damnation Game" hat hingegen etwas vom "Ungeschliffenen-Rohdiamant-Charakter" des legendären Dream-Theater-Debüts (welches qualitativ natürlich nochmal in einer höheren Liga spielt, klar). Anspieltipp? Ein jeder der acht Songs repräsentiert das Album eigentlich ziemlich gut, am allergroßartigsten ist vielleicht das abschließende "A Winter's Dream" (https://m.youtube.com/watch?v=18DtlhhOdwU).

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90. Between the Buried and Me - Coma Ecliptic (USA, 2015)
BTBAM finde ich mindestens seit dem "Alaska"-Album toll, doch erst mit "Coma Ecliptic" sind sie dort angekommen, wo ich sie immer haben wollte. Bei aller spieltechnischen Klasse und allen liebenswert irren Wendungen und Kuriositäten in den meist überlangen Songmonstern, was mir bis dato fehlte, waren Hooklines, an denen man sich in all dem Chaos und Gebrüll zumindest ein wenig entlanghangeln konnte, sowie ein generell songdienlicheres Vorgehen (nichts gegen sechs, sieben abrupte Stilwechsel in einem Zwölfminüter, kann man schon machen, ist dann halt anstrengend, mal mindestens auf Albumlänge). Genau diese beiden Baustellen sind BTBAM auf "Coma Ecliptic" erfolgreich angegangen; es finden sich großartige (Gesangs-)Melodien, die mal an Steven Wilson ("Node"), mal an James LaBrie ("Famine Wolf") erinnern, die Songs selbst sind deutlich kompakter (nur das überragende "Memory Palace" kratzt an den zehn Minuten, Anspieltipp, bitte sehr: ), in sich geschlossener, nachvollziehbarer, letztlich einfach (noch) besser. Selten war die abgedroschene Floskel "weniger ist mehr" somit angebrachter, wobei natürlich zu bedenken ist, dass in diesem Fall "weniger" immer noch "verdammt viel" bedeutet.

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89. Psychotic Waltz - The God-Shaped Void (USA, 2020)
Keine Scheibe dürfte in den letzten gut drei Jahren die heimischen Hallen häufiger beschallt haben als das so lange so sehr herbeigesehnte, teilweise nicht mehr für möglich gehaltene und letztlich doch noch fleischgewordene Comebackalbum von Psychotic Waltz. Und das kommt natürlich nicht von ungefähr, hat "The God-Shaped Void" die himmelhohen Erwartungen doch mindestens erfüllt, vielleicht sogar übertroffen. Klar, die bahnbrechenden ersten beiden Alben sind auf ewig nicht zu toppen, aber der dritte Platz im bandinternen Ranking erscheint nach drei Jahren Dauerrotation zunehmend gefestigt (die süßlich riechende Stechmücke jedenfalls wurde definitiv kassiert). Auf einzelne Songs einzugehen, erscheint mir an dieser Stelle wenig angebracht, da ihr Nasen das Album ja sowieso alle kennt, daher nur so viel: "While the Spiders Spin", "Demystified" und "Sisters of the Dawn" (https://m.youtube.com/watch?v=JsH-t9Aa_sQ) werden auch in 50 Jahren noch von der Prog-Gemeinde (sofern noch existent) abgefeiert werden; beim Genuss von "All the Bad Men" hingegen wird man lächeln und sagen: "Nun ja, Aluhüte waren damals halt in..."

The Damnation Game ist ein Klassiker, mit Psychotic Waltz werde ich einfach nicht warm, x-mal versucht, ohne Erfolg.
Between the Buried and me wird getestet.
 
Round Four - choose your fighter!

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88. Neal Morse - Jesus Christ the Exorcist (USA, 2019)
Und siehe, das Wort des Herrn geschah zu Neal, seinem getreuen Diener: Wahrlich, wahrlich, ich trage dir auf, vertone Leben, Tod und Kurzcomeback meines geliebten Sohnes. Denn deine Musik ist mir eine Freude, und das Himmelreich erstrahlt im hellsten Lichte, lasse ich dein bärtiges Licht (Beste!) in all seiner Herrlichkeit akustisch leuchten. Und das Werk, das du schreiben wirst, soll aus zwei Akten bestehen, Akt I und Akt II. Und in Akt I sollst du gleich zur Sache kommen und den ganzen Weihnachtskitsch mit Nichtachtung strafen, du sollst dem gehörnten Männlein aus dem Untergeschoss das einprägsamste Thema des Werkes zukommen lassen ("Jesus' Temptation", man lausche hier: ), den zahlreichen pösen Geistern, die den armen Gerasener plagen, sollst du in bester "Thoughts"-Manier ihre Stimmen verleihen, von denen du übrigens eine sein wirst, ja, du hast richtig gehört, den Menschensohn gibt Ted Leonard, du darfst den kleinen Chelm aber später als Pilatus ans Kreuz schicken. Und siehe, in Akt II soll dein alter Spock's-Beard-Kumpel Nick D'Virgilio seinen großen Auftritt als Judas Iskariot haben, und sein trauriger Abgang soll der dramatische Höhepunkt des Werkes sein. Und da darüber hinaus ja ohnehin jeder weiß, wie die Geschichte ausgeht, sollst, nein, wirst du am Ende nicht ganz so dick auftragen, mein Lieber! Doch sieh dich vor, in der Szene wird sein Heulen und Zähneklappern ob des Werkes Titels und Thematik, dein ergebener Jünger @Prog on! allerdings wird es lieben, listen und loben, auf dass sich weitere Inhaber aufgeschlossener, dem Schmalz nicht vollends abgeneigter Ohren aufmachen werden, es zu erkunden und letztlich ins Herz zu schließen. Amen.

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87. Caligula's Horse - In Contact (AUS, 2017)
Moderner, möglicherweise gar leicht alternativ angehauchter Progressive Metal ist in meinem Universum nicht immer ein ungetrübter Ohrenschmaus, und so gefällt mir das Frühwerk des Kaisers edlen Beutelpferdes auch "nur" gut (okay, "Bloom" vielleicht auch gut plus), doch das, was auf "In Contact" geboten wird, spottet wahrlich jeder Beschreibung, und das natürlich im positiven Sinne, schließlich dürfte man tatsächlich mal so eben die Melodien des Jahres 2017 geschrieben haben (und ja, ich weiß, dass dies das "Legends of the Shires"-Jahr ist...), um diese dann in Song-Monumente wie den zunächst etwas sperrig anmutenden Opener "Dream the Dead" (https://m.youtube.com/watch?v=Ipi6UgznmlE), das wunderbar verträumte "The Hands Are the Hardest" (diese Gitarre!) und das alles überragende "Songs for No One" (dieser Chorus!) kongenial einzuflechten (vom abschließenden 15-Minüter "Graves" reden wir erst gar nicht). Goldkehlchen Jim Grey erinnert mal an Hakens Ross Jennings in (noch) besser, mal an eine gemäßigtere Variante von Leprous' Einar Solberg, Sam Vallens Gitarrenspiel, mal klassisch, mal fast schon djentig, dabei stets eine Wohltat, drückt jedem Song unverkennbar seinen Stempel auf, und der Anglist in uns erfreut sich an den zahlreichen Shakespeare-Allusionen ("Will's Song", "Capulet", ...) sowie der gelungenen, an manchen Tagen gar Gänsehaut erzeugenden Poetry-Slam-Einlage, die dem - wie könnte es anders sein - großartigen "The Cannon's Mouth" vorangestellt ist. Bei so vielen erlesenen Zutaten bliebt man doch ausgesprochen gern in Kontakt, auch langfristig.

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86. Arena, The Visitor (UK, 1998)
Mein erster Kontakt mit Arena und diesem Album war der Song "A Crack in the Ice", der sich seinerzeit auf einer Rock-Hard-Dynamit-CD verirrt hatte. Nun würde ich gern ehrfürchtig von Liebe auf den ersten Blick und einem "life-changing moment" schwärmen, allein es wäre nicht die Wahrheit. Als damals überzeugter (Euro-)Power-Metaller dürfte ich den Song noch nicht einmal zu Ende gehört haben, ballerte halt nicht so geil wie Hammerfall. Hach, die jungen Leute...
Ein Vierteljahrhundert später ist die Lage eine völlig andere, man kennt die komplette Arena-Diskographie in und auswendig, schätzt im Grunde jedes einzelne Werk der Briten, und sucht dann doch meist eine der drei Lieblingsarenen auf, also "The Visitor" oder ... eine der beiden anderen. Der Besucher bietet bandtypischen Neoprog nach feinster englischer Art mit großen Melodien, die schon relativ früh in Langzeitspeicher abgelegt werden, sich aber dennoch nicht abnutzen, außergewöhnlich gefühlvollem Gesang (leider verließ Paul Wrightson nach diesem Album die Arena vorzeitig) und einer ungemein fesselnden Atmosphäre, die infolge der Auseinandersetzung mit dem übergeordneten lyrischen Konzept noch deutlich an Intensität gewinnt. Der beste Song der Platte ist womöglich das tieftraurige "The Hanging Tree", als Anspieltipp fungiert freilich "A Crack in the Ice" (https://m.youtube.com/watch?v=3iHuI9EuF9U) - aus historischen Gründen (s.o.).
 
Ganz toll, daß bei Dir Onkel Neal so hoch im Kurs steht! Unsere (frühere) Userin Paintbox hat so gute wie alle seine Alben. Arena - eine Bank. Bin gespannt, ob noch ein weiteres Album der Band auftauchen wird.
 
Neal Morse: Hmm, ein Jesus-Musical? Hat mich bislang nicht gereizt. Ändere ich mal.
das Pferd: Kaiserlich. Königlich. Gigantisch.
Arena: Klassiker.
 
Kenn' aus diesem 3er-Pack lediglich Arena (und das auch nur vage), aber so wie du hier deine Rezis an die geneigte Leserschaft bringst, kann man ja gar nicht anders, als No. 87 und 88 in einer ruhigen Stunde zumindest mal anzuchecken :top:
 
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