[Top of the Progs - 50 Meisterwerke] - progges Liste

Neben braunem Stammtisch, der derzeit die öffentlichen Debatten beherrscht, hat Sachsen auch viel Tolles hervorgebracht wie die Görlitzer Peterskirche, die Schrammsteine oder die Musikszene Leipzigs.

21 Disillusion: Gloria
So ein Album, wo man merkt, dass der Kopf von Andi völlig frei gewesen muss. Keine Zwänge, schon gar nicht welche, die sich aus der eigenen Diskographie ergeben. Ich habe es glaube ich schonmal im Bandthread geschrieben: „Untiefen“ als Closer zur Release-Party im Conne Island, zu einem Zeitpunkt, wo noch kein Mensch wusste, wie das Album klingt, mit einem am Ende völlig allein auf der Bühne stehenden und mit geschlossenen Augen singenden Andi, das war so gewaltig, dass ich heute noch Gänsehaut kriege, wenn ich daran denke. Sowieso einer meiner Top-20-Songs überhaupt. Ansonsten die Metalband, die ich am meisten live gesehen habe, allein in Leipzig in allen möglichen Locations und mit allen möglichen Publikumsgrößen, sind ja auch sehr gewachsen in den Jahren. Mit „Back to …“ und den anderen Sachen vorher kann ich nichts mehr anfangen, aber „Gloria“ funktioniert bis heute.

27 Dark Suns: Existence
Das Album hat mich in seiner Innerlichkeit, Sanftheit und Melancholie damals sooo gerührt. Verbinde ich mit einem Techtelmechtel aus dem Winter 2005, das abrupt und ohne Abschied endete. Elisabeth, alte Herzensbrecherin, wenn du das liest: Du bisd so ä Zimdzieche, wie wir Sachsen sogn.* Schwamm drüber.
Dark Suns fingen als Opeth-Clone an und klingen heute nach Porcupine Tree, „Existence“ liegt zeitlich wie stilistisch zwischen diesen beiden Polen.

47 Toxic Smile: RetroToxForte
Das Ding ist verspielter Prog durch und durch, mittelgradig vertrackt, melodiegeil, mal mehr Metal, mal mehr Rock, mal mehr Hardrock, mit Lounge-Ruhepolen zwischen den Frickeleien und einem tollen Sänger, der an Phil Collins erinnert, sowie einem experimentierfreudigen Keyboarder, der nebenbei Saxophon spielt. Auch eine Band, die ich häufiger in Leipzig live gesehen habe, jedesmal hoch unterhaltsam. Anno 2000nochwas haben sie als Vorband von Slayer im Stadion von Seoul gestanden, mit kurzzeitigem BMG-Majordeal im Gepäck! Irre Historie. Da war ich natürlich nicht im Publikum, habe sie zuletzt 2016 im Tonelli's vor dreißig Leuten oder so erlebt. Stephan Pankow war da gerade neu als Gitarrist in der Band, hatte vor dem Gig erst zwei- oder dreimal mit den anderen geprobt (und das bei rhythmischen Gemeinheiten wie „Pyramid“) und war sichtlich perplex über die Nonsensansagen von Larry, der dann übers Mikro posaunte: „Was denn, hast du uns vor dem Einstieg noch nie live gesehen?“ Haben sich nach 20 Jahren aufgelöst, gehören aber zum unerlässlichen Leipziger Proginventar und die beteiligten Leute sind ja z.T. auch ansonsten recht umtriebig.
Weil es hieß, die Band sei nicht bekannt: https://marekarnold.bandcamp.com/album/retrotox-forte

Insgesamt drei sehr unterschiedliche Bands und Alben, die für mich neben der Herkunftsstadt verbindet, dass ich Leute, die da mitspielten, mehr oder weniger persönlich kenne, also voll befangen bin.

*Noch ä bissel orschinal Sächsch zum Abschluss (von hier geklaut):
"Babba, was for ä Ardiggl sedzd mor denn vor Lehm?"
"Das gommd druff an, mei Sohn. Der Lehm is das, womidd dor Dischler de Dische lehm dud, die Lehm sin wilde Diere in Afrigga und das Lehm is das Geschndeel von Dohd."
 
Die Toxic Smile steht bei mir im Regal, habe ich mal geschenkt bekommen, aber wegen des fürchterlichen Bandnamens in Verbindung mit dem schlimmen Cover noch nie angehört. Ich ändere das wohl mal. Disillusion und Dark Suns finde ich beide gut, aber euphorisch bin ich nie geworden.
 
21 Disillusion: Gloria
So ein Album, wo man merkt, dass der Kopf von Andi völlig frei gewesen muss. Keine Zwänge, schon gar nicht welche, die sich aus der eigenen Diskographie ergeben. Ich habe es glaube ich schonmal im Bandthread geschrieben: „Untiefen“ als Closer zur Release-Party im Conne Island, zu einem Zeitpunkt, wo noch kein Mensch wusste, wie das Album klingt, mit einem am Ende völlig allein auf der Bühne stehenden und mit geschlossenen Augen singenden Andi, das war so gewaltig, dass ich heute noch Gänsehaut kriege, wenn ich daran denke. Sowieso einer meiner Top-20-Songs überhaupt. Ansonsten die Metalband, die ich am meisten live gesehen habe, allein in Leipzig in allen möglichen Locations und mit allen möglichen Publikumsgrößen, sind ja auch sehr gewachsen in den Jahren. Mit „Back to …“ und den anderen Sachen vorher kann ich nichts mehr anfangen, aber „Gloria“ funktioniert bis heute.
Totale Zustimmung. Zu Unrecht als (merkwürdiger bis negativer) Ausreißer in der Diskographie gehandelt!
 
Die Toxic Smile steht bei mir im Regal, habe ich mal geschenkt bekommen, aber wegen des fürchterlichen Bandnamens in Verbindung mit dem schlimmen Cover noch nie angehört. Ich ändere das wohl mal.
Ja, das mit dem miesen Coverartwork gilt für fast jedes TS-Alben, aber "RetroToxForte" toppt sie in Sachen Beschissenheit alle. War halt bis zum Ende - kurzzeitiger Majordeal hin oder her - eine 100%ige DIY-Band.
Als Anspieler taugen "Pyramid" (die Prog-Seite) und "Escape" (die Lounge-Seite).
 
Die habe ich jetzt mal für ganz kleines Geld bei discogs bestellt, wird die Tage dann mal laufen. Ich werde berichten.
Bin gespannt, was du dazu sagst, aber nicht erschrecken: auf dem Album hatten sie dezente "modernere" Einflüsse (so ein wenig Richtung Mitt-90er Sepultura und Machine Head, aber gut in ihren eigenen Stil eingewoben). Ich fand das Album damals musikalisch sogar etwas spannender als das recht prog-typische Debüt, hab aber beide schon länger nicht mehr gehört (müsste ich mal wieder ändern).
 
Ja, das mit dem miesen Coverartwork gilt für fast jedes TS-Alben, aber "RetroToxForte" toppt sie in Sachen Beschissenheit alle. War halt bis zum Ende - kurzzeitiger Majordeal hin oder her - eine 100%ige DIY-Band.
Als Anspieler taugen "Pyramid" (die Prog-Seite) und "Escape" (die Lounge-Seite).
Das Album läuft gerade und es wird sicher nicht der letzte Durchlauf sein. Gefällt mir richtig gut und ich ärgere mich jetzt ein bisschen, dass das Album locker 10 Jahre bei mir ungehört im Schrank stand.
 
37. Spiral Architect: A Sceptics Universe
Eulen, Athen. Ablass, Rom. Wasser, Rhein. David Guetta, Kloschüssel.

48. Twisted Into Form: Then Comes Affliction To Awaken The Dreamer
Auch dazu wurde alles Wichtige schon von Anderen gesagt. Was ich im Direktvergleich noch gut finde: Immer dann, wenn Spiral Architect völlig durchdrehen, werden Twisted Into Form ruhig, melancholisch, nehmen sich plötzlich zurück. Der Mittelteil von „The Thin Layers Of Lust And Love“ oder „Erased“ gleich in seinen ersten Sekunden oder diese sphärische, entspannte Ruhe, wie sie plötzlich über „House Of Nadir“ einbricht – herrlich.
 
50. Soul Cages: Craft
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Zu „Craft“ habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Es ist ein Album, das ich totgehört habe, weil ich wollte, dass es mir gefällt, es mir aber lange eben doch nicht gefiel. „Craft“ wurde damals, als ich schon mitten im Prog-Fieber war, in einem der Merch-Magazine, die ich las (der damals noch käuflich zu erwerbende EMP-Katalog oder das Heft „Metal Merchant“, das an Massacre Rec, das Label der Band, angebunden war) ziemlich abgefeiert. Ich habe als 15jähriger den Unterschied zwischen Rezension und Promogeschwafel noch nicht ganz geschnallt und war auch noch zu naiv, um zu kapieren, dass ein Versandhaus seine eigenen Artikel eher nicht verreißen wird, mir also sicher, dass mich hier ein Album erwartet, dass in eine Kategorie mit der Offenbarung des Johannes, den Gemälden der Sixtinischen Kapelle und den Hängenden Gärten der Semiramis gehört. Als das Ding dann schon kurz nach VÖ für fünf Mark oder so angeboten wurde, krallte ich es mir und schob es in Erwartung, mich wie der Homo Erectus bei der Entdeckung des Feuers zu fühlen, in den Player.
War dann nix. Es war stinklangweilig, jeder Titel klang gleich, den Sänger fand ich richtig schlecht und die ganze Atmosphäre irgendwie schaumgebremst. Aber zu der Zeit war jede eigenhändig gekauft CD ein Heiligtum, also gingen endlose Auseinandersetzungen mit dem Album los. Ich verscherbelte die CD irgendwann in den 2000ern gefrustet an einen A&V, nur um sie mir ein paar Jahre später nochmal zu kaufen, weil mich das Einlegen immer wieder in diese spannende Zeit zurückversetzt. Hab eben nochmal im Regal nachgeschaut und festgestellt, dass ich auch dieses Exemplar offenbar irgendwann wieder verkauft habe.
Inzwischen ist es für mich ein sehr angenehmes Album, das gerade durch seine Höhepunktlosigkeit und Monotonie einen Frieden ausstrahlt. Da haben über Funeral Doom und Dark Ambient neu entwickelten Hörgewohnheiten mir geholfen, „Craft“ nochmal neu zu bewerten.
War jetzt kein so guter Werbeblock für das Album, oder? Wie sind denn die anderen Alben der Band?
 
50. Soul Cages: Craft
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Zu „Craft“ habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Es ist ein Album, das ich totgehört habe, weil ich wollte, dass es mir gefällt, es mir aber lange eben doch nicht gefiel. „Craft“ wurde damals, als ich schon mitten im Prog-Fieber war, in einem der Merch-Magazine, die ich las (der damals noch käuflich zu erwerbende EMP-Katalog oder das Heft „Metal Merchant“, das an Massacre Rec, das Label der Band, angebunden war) ziemlich abgefeiert. Ich habe als 15jähriger den Unterschied zwischen Rezension und Promogeschwafel noch nicht ganz geschnallt und war auch noch zu naiv, um zu kapieren, dass ein Versandhaus seine eigenen Artikel eher nicht verreißen wird, mir also sicher, dass mich hier ein Album erwartet, dass in eine Kategorie mit der Offenbarung des Johannes, den Gemälden der Sixtinischen Kapelle und den Hängenden Gärten der Semiramis gehört. Als das Ding dann schon kurz nach VÖ für fünf Mark oder so angeboten wurde, krallte ich es mir und schob es in Erwartung, mich wie der Homo Erectus bei der Entdeckung des Feuers zu fühlen, in den Player.
War dann nix. Es war stinklangweilig, jeder Titel klang gleich, den Sänger fand ich richtig schlecht und die ganze Atmosphäre irgendwie schaumgebremst. Aber zu der Zeit war jede eigenhändig gekauft CD ein Heiligtum, also gingen endlose Auseinandersetzungen mit dem Album los. Ich verscherbelte die CD irgendwann in den 2000ern gefrustet an einen A&V, nur um sie mir ein paar Jahre später nochmal zu kaufen, weil mich das Einlegen immer wieder in diese spannende Zeit zurückversetzt. Hab eben nochmal im Regal nachgeschaut und festgestellt, dass ich auch dieses Exemplar offenbar irgendwann wieder verkauft habe.
Inzwischen ist es für mich ein sehr angenehmes Album, das gerade durch seine Höhepunktlosigkeit und Monotonie einen Frieden ausstrahlt. Da haben über Funeral Doom und Dark Ambient neu entwickelten Hörgewohnheiten mir geholfen, „Craft“ nochmal neu zu bewerten.
War jetzt kein so guter Werbeblock für das Album, oder? Wie sind denn die anderen Alben der Band?
In der Tat kein guter Werbeblock, irgendwie ein skurriler Text für eine "Top of..."-Scheibe. Anyway, ich würde sagen, dass "Craft" das schwächste Album von Soul Cages ist. "Höhepunktlosigkeit" trifft es durchaus. Da finde ich vor allem das Debüt, aber auch "Moments" und auch das Comeback "Moon" zum Teil deutlich besser.
 
Die "Möchtegern-Dream-Theater" aus Altena/Neuenrade. Super unsympathische Band, hier regional damals mit allen möglichen Auszeichnungen in regionalen Musikwettbewerben überschüttet. Obgleich ich speziell dem Debut noch so Einiges abgewinnen kann eine der ganz, ganz wenigen Bands, die ich aufgrund ihrer Hochnäsigkeit (ob nun aus spieltechnischer Sicht gerechtfertigt oder nicht) schlicht und ergreifend einfach nicht höre.
 
50. Soul Cages: Craft
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Zu „Craft“ habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Es ist ein Album, das ich totgehört habe, weil ich wollte, dass es mir gefällt, es mir aber lange eben doch nicht gefiel. „Craft“ wurde damals, als ich schon mitten im Prog-Fieber war, in einem der Merch-Magazine, die ich las (der damals noch käuflich zu erwerbende EMP-Katalog oder das Heft „Metal Merchant“, das an Massacre Rec, das Label der Band, angebunden war) ziemlich abgefeiert. Ich habe als 15jähriger den Unterschied zwischen Rezension und Promogeschwafel noch nicht ganz geschnallt und war auch noch zu naiv, um zu kapieren, dass ein Versandhaus seine eigenen Artikel eher nicht verreißen wird, mir also sicher, dass mich hier ein Album erwartet, dass in eine Kategorie mit der Offenbarung des Johannes, den Gemälden der Sixtinischen Kapelle und den Hängenden Gärten der Semiramis gehört. Als das Ding dann schon kurz nach VÖ für fünf Mark oder so angeboten wurde, krallte ich es mir und schob es in Erwartung, mich wie der Homo Erectus bei der Entdeckung des Feuers zu fühlen, in den Player.
War dann nix. Es war stinklangweilig, jeder Titel klang gleich, den Sänger fand ich richtig schlecht und die ganze Atmosphäre irgendwie schaumgebremst. Aber zu der Zeit war jede eigenhändig gekauft CD ein Heiligtum, also gingen endlose Auseinandersetzungen mit dem Album los. Ich verscherbelte die CD irgendwann in den 2000ern gefrustet an einen A&V, nur um sie mir ein paar Jahre später nochmal zu kaufen, weil mich das Einlegen immer wieder in diese spannende Zeit zurückversetzt. Hab eben nochmal im Regal nachgeschaut und festgestellt, dass ich auch dieses Exemplar offenbar irgendwann wieder verkauft habe.
Inzwischen ist es für mich ein sehr angenehmes Album, das gerade durch seine Höhepunktlosigkeit und Monotonie einen Frieden ausstrahlt. Da haben über Funeral Doom und Dark Ambient neu entwickelten Hörgewohnheiten mir geholfen, „Craft“ nochmal neu zu bewerten.
War jetzt kein so guter Werbeblock für das Album, oder? Wie sind denn die anderen Alben der Band?

Krass, dass man so einen Text schreiben kann und das Album, um das es geht trotzdem auf Platz 50 einer „Top of the Progs“ - Liste landet. Für mich undenkbar…
 
Das war in der Tat das negativste Positiv-Review, das ich jemals gelesen habe.

:D

In meinem Hirn bilden sich schon Überlegungen heraus, ob man daraus nicht sogar schon einen neuen Nerd-Thread basteln kann...."Alben, die ich eigentlich gar nicht toll finde, sie mir aber mit Gewalt erarbeitet habe, weil sie prinzipiell in mein Beuteschema passen müssen!!!!"

@progge: in der Tat eine völlig eigene Art der Rezi, die ich leider ihn meinem "Ich-mag-keine-Seelenkäfige" (nicht mal die von Sting) einfach vergessen habe, angemessen zu würdigen. Geiler Shit.
 
Da ist mir der Schwenk irgendwie missglückt und die Luft war schon raus, als es ums Ausbreiten des Positiven gegangen wäre. Zu verbuchen unter: Sich in den eigenen Anekdoten verfangen.
Das Debüt checke ich mal an.
 
50. Soul Cages: Craft
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Zu „Craft“ habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Es ist ein Album, das ich totgehört habe, weil ich wollte, dass es mir gefällt, es mir aber lange eben doch nicht gefiel. „Craft“ wurde damals, als ich schon mitten im Prog-Fieber war, in einem der Merch-Magazine, die ich las (der damals noch käuflich zu erwerbende EMP-Katalog oder das Heft „Metal Merchant“, das an Massacre Rec, das Label der Band, angebunden war) ziemlich abgefeiert. Ich habe als 15jähriger den Unterschied zwischen Rezension und Promogeschwafel noch nicht ganz geschnallt und war auch noch zu naiv, um zu kapieren, dass ein Versandhaus seine eigenen Artikel eher nicht verreißen wird, mir also sicher, dass mich hier ein Album erwartet, dass in eine Kategorie mit der Offenbarung des Johannes, den Gemälden der Sixtinischen Kapelle und den Hängenden Gärten der Semiramis gehört. Als das Ding dann schon kurz nach VÖ für fünf Mark oder so angeboten wurde, krallte ich es mir und schob es in Erwartung, mich wie der Homo Erectus bei der Entdeckung des Feuers zu fühlen, in den Player.
War dann nix. Es war stinklangweilig, jeder Titel klang gleich, den Sänger fand ich richtig schlecht und die ganze Atmosphäre irgendwie schaumgebremst. Aber zu der Zeit war jede eigenhändig gekauft CD ein Heiligtum, also gingen endlose Auseinandersetzungen mit dem Album los. Ich verscherbelte die CD irgendwann in den 2000ern gefrustet an einen A&V, nur um sie mir ein paar Jahre später nochmal zu kaufen, weil mich das Einlegen immer wieder in diese spannende Zeit zurückversetzt. Hab eben nochmal im Regal nachgeschaut und festgestellt, dass ich auch dieses Exemplar offenbar irgendwann wieder verkauft habe.
Inzwischen ist es für mich ein sehr angenehmes Album, das gerade durch seine Höhepunktlosigkeit und Monotonie einen Frieden ausstrahlt. Da haben über Funeral Doom und Dark Ambient neu entwickelten Hörgewohnheiten mir geholfen, „Craft“ nochmal neu zu bewerten.
War jetzt kein so guter Werbeblock für das Album, oder? Wie sind denn die anderen Alben der Band?
"Craft" finde ich ebenfalls höchst verzichtbar. Das Debut und besonders "Moments" wissen jedoch zu begeistern.
Solltest Du nur "Craft" kennen wirst Du überrascht sein zu was diese Truppe fähig war.
 
Nachtrag zu Soul Cages: Ich habe es mit den anderen hier empfohlenen Alben versucht. War mir zu sehr Standard-Prog. Da bleibe ich der Nostalgie und Einförmigkeit wegen dann doch bei "Craft".

26. Howling Sycamore: Seven Pathways to Annihilation
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Zu diesem irrsinnig guten 10/10-Album, über das ich zufällig durch die Rezi im Heft gestoßen bin, habe ich mich bei einer der wenigen Gelegenheiten, die ich vor diesem Thread in diesem Unterforum war, schon ausgelassen und das Geschriebene gilt viereinhalb Jahre später ohne Abstriche weiter.
Das Teil ("Seven ...") ist ja mal sowas von cool. Ich dachte, ich hätte mit Prog Metal schon vor 10-15 Jahren abgeschlossen. Aber die Scheibe führt mich echt gerade ein Stück zurück. Am besten ist, dass der Sänger fast ununterbrochen singt.
Ich mag die bei aller Grenzenlosigkeit in Abläufen und Textur durchscheinender Melancholie. Man kann "Seven ..." wirklich gut folgen, weil es auch ein emotionales Album ist - ein bisschen wie bei Psychotic Waltz -, und das eben nicht nur in den offensichtlichen Momenten wie dem bitteren Ausklang von "The Sorcerer", sondern auch in den Mementen, die krachen.
Gern führe ich meinen äußeren Monolog zu diesem tollen Album fort. Sagt ein (durchaus gutes) Review:

Doch. Genau das geht gut, wenn man nicht so darüber nachdenkt, dass die Kombination etwas Ungewöhnliches hat. Denn sie ist total stimmig. Der "verrückteste" Song - ich würde "Departure" oder "Sorcerer" nennen - ist immer noch so schlüssig wie der strukturierteste Song des Debüts ("Descent to Light"), d.h. die Musik ist von einem Jahr zum nächsten zugänglicher und sinniger geworden. Der Aufbau der Stücke mit den schrittweisen Aufs und Abs und den vielen kleinen Variationen von Riffs und Melodien ist nicht nur große Songwriting-Kunst, sondern nimmt einen auch perfekt mit, ohne zu überfordern. Die Komplexität steht nie im Vordergrund. Der ganze Mittelteil 3-5 hat etwas geradezu Entspanntes. Und was für hammergeile Gesangslinien sind das in "Raw Bones".
Das Album hat null Ausfälle, sieben Treffer, fast jeder davon mit einem oder mehreren Übermomenten. Ich bin hin und weg.
Das war leicht. Nächstes Mal dafür ein Epos mit 20 Minuten Lesedauer.
 
40. Lift: Spiegelbild
41. Lift: Meeresfahrt


Da hole ich wie angedroht weit aus. Lift sind ein wichtiges Kapitel Ostprog. Als sie 1973 – Moment, was zur Hölle soll Ostprog sein?

Also, noch mal von vorn. Ostprog gibt es nicht bei Google, ist aber der proggige Ausläufer des Ostrock. Nach der Wende gelang es den wenigsten Ostrockbands, auch im wiedervereinigten Deutschland unter den neuen ökonomischen Bedingungen Fuß zu fassen. Die meisten der (wenigen) noch existierenden Ostrock-Bands haben heute daher dasselbe Publikum, das sie bereits vor 1989 hatten. Das sieht man besonders an den Progbands, die nie die Massenkompatibilität von geradlinigem Rock Marke Puhdys (die bereits vor dem Mauerfall auch im Westen auftraten) erreichten. Electra, die Stern-Combo Meißen und Lift spielen heutzutage als „Sachsendreier“ vor Leuten, die gern nochmal an die alten Zeiten erinnert werden wollen.

Aber so weit, so normal. Das Nostalgie-Phänomen trifft ja „Westrock“ und dessen Publikum ebenso und vielen altgedienten Bands gelingt es nicht, sich eine neue Hörergeneration zu erspielen. Was beim Thema Ostrock gern untergeht, ist aber, dass unabhängig vom Nostalgie-Faktor auch geile Musik entstanden ist, die als ernstzunehmender Beitrag zum (Retro-)Prog zählen kann. Ich selbst bin ein Beispiel für diese andere Rezeption des Ostprog. Als Lift ihr letztes reguläres Studioalbum veröffentlichten, war ich gerade erst seit einer Weile stubenrein. Als ich Lift kennenlernte, war die innerdeutsche Trennung bereits seit einer Dekade Geschichte. Kennengelernt habe ich die Band über meinen Vater.

Die Basis des Lift-Sounds ist warmer, souliger Rock. Den trägt ein angefunkter Bass, auf welchen Synthesizer aller Art und diverse Blasinstrumente addiert werden. Gitarren gibt es auf den ersten drei Alben kaum, was schon mal stilprägend ist. Zudem punkten der emotionale Gesang von Henry Pacholski, später Werner Lohse, und die mehrstimmigen, anspruchsvoll arrangierten Refrains. Jethro Tull und Crosby, Stills and Nash treffen sich und singen mit einem Mal Deutsch, ein wenig so klingen Lift, sage ich jetzt mal expertenhaft.

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Album Nummer zwei, die „Meeresfahrt“, ist das am stärksten klassisch beeinflusste unter den Lift-Alben. Da wäre mit „Scherbenglas“ eine tolle Kammermusik-Ballade, nur aus Streichern und Gesang bestehend und in den Arrangements barock anmutend. Die „Sommernacht“ ist ein reines A-cappella-Stück mit warmen Bariton-Sätzen, die zur Gänsehaut rühren. Das Titellied ist ein Meisterwerk, basierend auf einem wahlweise von Saxophon, Klarinette oder Querflöte dargebotenen Thema, das sich in verschiedenen Variationen durch die 15 Minuten zieht, während Synthesizer und Rhythmusabteilung erst vertrackt abproggen, dann verträumt schwelgen. Dieser Track stellt genau die Reise dar, die der Titel verspricht. Das gilt auch für die „Tagesreise“, den zweiten Longtrack des Albums, eine gnadenlose und dabei stimmungsvolle Abfahrt, die Keyboarder Michael Heubach ursprünglich für die Bürkholz-Formation komponierte, nach deren Verbot bei der Horst-Krüger-Band (meine Fresse, hatte die damals Namen) erstmals auf LP unterbrachte und bei Lift dann zweitverwertete und zu einem der bekannteren Ostprogsongs der damaligen Zeit machte. Was für mitreißende, brachiale Hammondorgeln! Was für abgedrehte Gesangseskapaden! Richtig, richtig geil.

Auf „Meeresfahrt“ ist das populärste Stück das eingängige „Nach Süden“, dessen diverse rhythmische und gesangliche Schlenker für den nötigen Anspruch sorgen. (Apropos Anspruch: Im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig wird der Text von „Nach Süden“ als ein Beispiel für versteckte DDR-Systemkritik/Ausbüchsfantasie geführt.)
Mit „Wir fahrn übers Meer“ gibt es auch einen Ausfall - diesen albern anmutenden Mundharmonikaexzess ausgerechnet als Opener zu platzieren, wird der Klasse des Albums nicht gerecht.

Sänger Henry Pacholski und Bassist Gerhard Zachar, der gleichzeitig als Manager der Band fungierte, erlebten die Veröffentlichung des Albums nicht mehr. Während einer Tournee in Polen nach Produktionsabschluss verunglückten sie im November 1978 tödlich. Der am Steuer sitzende Michael Heubach überlebte schwerverletzt, stieg aber aus der Band aus und tauchte 1980 in Ute Freudenbergs Gruppe Elefant wieder auf, wo er mit dem Schlagerschmonz „Jugendliebe“ augenblicklich einen größeren Erfolg hatte als mit Lift in all den Jahren zuvor – er musste allerdings ein Jahr darauf Elefant schon wieder verlassen, da ihm das MfS nach dem Unfall in Polen keine Reisegenehmigung mehr erteilte.

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Zurück zu Lift. „Spiegelbild“ erschien 1981 als erstes Album nach dem Unfall und ist das enfant terrible von Lift. Mit dem Verlust von Pacholski, Zachar und Heubach verschob sich das musikalische Gefüge, das vorher stark von diesen drei Personen mitgeprägt wurde, deutlich, nämlich in Richtung Jazzrock.
Der ist teils sehr verschroben. „Vincent van Gogh“ reiht in seinen ersten Minuten abgefahrene Skalen aneinander, um dann in typisch warmen Synthieburgen/Flötenklängen zu versinken, die aber nur sequenzhaft angespielt werden, und findet sich schließlich in unstrukturiertem Gesangswirrwarr wieder. Auch nach traditionellem Schema aus Strophe und Refrain gegliederte Nummern wie „Sindbad“ oder „Zwischenzeit“ warten mit allerlei Abfahrten, verjazzten Akkorden und anstrengender, komplexer Melodieführung im Gesang auf. Dennoch sind auch in all diese Nummern melodiöse Widerhaken eingelassen, die den Hörer bei der Stange halten. Es herrscht kein blankes Chaos.

Zudem ist das nur eine Seite von „Spiegelbild“. Auf der anderen steht die Melancholie. Das programmatisch betitelte Instrumental „Erinnerung“ basiert nur auf einer einzigen, tieftraurigen Melodie, die auch im abschließenden „Einsamkeit“ noch einmal aufgegriffen wird. Die Balladen des Albums, „Liebeslied“ und eben „Einsamkeit“, erschaffen bei einfacher Instrumentierung mit ihrer Melodieführung Schwermut und Komplexität zugleich und sind von Werther Lohse (der auf den beiden Vorgängern noch hauptamtlich Schlagzeuger war) wunderbar gesungen. „Märchenland“ ist ein wunderschön vertontes – nun ja, Märchenland eben. Und dann ist da natürlich noch „Am Abend mancher Tage“, 1980 zum Hit des Jahres gekürt und der wohl bekannteste Song von Lift, der in seiner Eingängigkeit stark von der sonstigen Gangart des Albums abweicht. Er trennt sich in seiner direkt formulierten Botschaft „Gib nicht auf, denn das kriegst du wieder hin“ auch textlich von anderen Teilen des Albums, dessen Reichtum an sonderbaren Metaphern es häufig schwer macht, eine echte Aussage zu identifizieren. Was hat Sindbad da zu suchen? „Will von mir das Wissen stehlen/Dass ein Wechsel ist im Licht“ – huh? „Wenn wir wissen wer wir waren/Wissen wir was uns erträgt“ – what?

Insgesamt erreicht „Spiegelbild“ nicht die Stimmigkeit seines Vorgängers und ist – allerdings bewusst – eine Herausforderung. Dafür ist die Langzeitwirkung groß. Ich mag das Album heute nicht weniger als seine beiden großen Brüder aus den 70ern.

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Nachklapp: Genau, es gibt noch einen zweiten großen Bruder. Das ebenfalls tolle Debüt fiel der Zwei-Alben-Regel zum Opfer, enthält aber auch geniale Titel. Die zehnminütige „Ballade vom Stein“ ist ein hochdramatisches Prog-Epos von Genesis-Dimensionen und die „Abendstunde, stille Stunde“ nach wie vor eines der schönsten und traurigsten Abendlieder ever, mit herrlich einfachen und darum so eindrücklichen Metaphern: „Und das Gold, das Gold der Felder/Wird schon bald zu Brot gebrannt“. „Arbeiterlyrik“ nannte ein guter Freund von mir das mal polemisch. Gerade den eingeschränkten Bildbereich der Texte kann man aber auch als Stärke sehen.

Was nach „Spiegelbild“ kam, war aus Prog-Sicht nicht mehr relevant. Der Abstieg begann mit „Nach Hause“, einem sehr seichten Mainstream-Rock-Album, das ein paar schöne Hooks hat, aber extrem nach 80ern und Roland Kaiser klingt, aus heutiger Sicht auch überholt wirkt. Im Anschluss an die Veröffentlichung verschwanden Lift immer mehr von der Bildfläche, um sich kurz nach der Wende schließlich aufzulösen. „Nach Hause“ blieb ihr letztes richtiges Album.

Mitte der 90er kehrten Lift zurück, aber nicht als Band, sondern als ein von Werther Lose abgesehen stetig wechselndes Kollektiv von Musikerinnen und Musikern, das seitdem und bis heute auf Projektbasis arbeitet: Lift goes Ostrockkumpane x, Lift goes Ostrockkumpane y, Lift goes Jan Josef Liefers, Lift goes Klassik, Lift auf Lesetour, Lift unplugged, Lift zum Geburtstag von Werther Lohse, Lift mit old-school-Set, Lift mit 80er-Instrumentierung, Lift mit 70er-Instrumentierung, Lift mit Oma Irmgard, Lift im Lift usf. Das alles garniert mit über einem Dutzend entsprechender CD-Veröffentlichungen, auf denen sporadisch auch mal ein neuer Song oder eine Rarität aus alten Tagen auftaucht. Unter denen findet sich neben schnarchnasigen Rohrkrepierern a la „Mein Herz soll ein Wasser sein“ auch ein Schätzchen wie die Kammermusik-Ballade „Der Frieden“, Lifts Beitrag zur Propagandaveranstaltung „Rock für den Frieden“ 1982, veranstaltet vom Komitee für Unterhaltungskunst der DDR.

Wie dem auch sei, schade drum, aber wir haben ja die ersten drei Alben. Und die kann ich der kleinen, innigen Prog-Gemeinde des DFF nur wärmstens empfehlen.

Und was war nun eigentlich 1973 mit Lift? Da hießen Lift noch Dresden-Septett und sollen eher mittelmäßig gewesen sein. Darüber können nun aber wirklich nur Zeitzeugen Bericht erstatten, ha.

Anspieler:
Tagesreise von "Meeresfahrt"
Sindbad von "Spiegelbild"
Ballade vom Stein von "Lift"
 
Sehr geil!!

Die "Meeresfahrt" steht tatsächlich hier (und gefällt mir richtig gut!!), den Rest der kenne ich tatsächlich nocht nicht.

Ost-Rock bzw. Ost-Prog ist ein extrem spannendes Thema, wie ich finde. Ergo: danke für den ausführlichen Text.
 
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