Saturday Morning Special:
79. Leprous - Bilateral (NOR, 2011)
Wie klingt ein Album, dessen Artwork im Vordergrund ein barbusiges Mischwesen aus Fisch, Großkatze (?) und Jakobsschaf (??) in einer Karaffe Zitronenlimonade (???) zeigt, aus der auf direktem Wege, sprich oral, ein nackter Mensch (doch, ziemlich sicher...) mit Flüssigkeit im Überfluss versorgt wird, welcher (also der Mensch) seinerseits an den Rücken eines Ameisenbären gefesselt ist, der (also der Ameisenbär) wiederum den Karren zieht, auf welchem sich die bereits erwähnte Karaffe Zitronenlimonade (??) mit dem ebenfalls schon angesprochen Mischwesen aus Fisch, Großkatze (?) und Jakobsschaf (???) befindet, während im Hintergrund überdimensionale (und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit magische) Pilze aus den quaderförmigen Gebäuden einer orientalisch anmutenden Wüstenstadt (????) schießen? Nun, man stelle sich einfach einen (prog-)metallischen Unterbau vor inklusive allem, was diese unsere Musik so großartig macht, und gebe im Geiste an geeigneter Stelle und wohldosiert unkonventionelle Zutaten hinzu wie etwa skurriles Gebläse, garstiges Gekeife, vertrackte Polyrhythmik, mehrstimmige Gesangspassagen, wilde Blastbeats, Sprechgesang (im 7/8-Takt!), sanfte Klavierklänge und noch vieles mehr, und siehe da, schon kommt einem das Artwork gar nicht mehr soooo abgefahren vor. Als möglicher Einstieg in dieses im besten Wortsinn progressive, fast schon avantgardistische Wahnsinnswerk sei allen Interessierten wärmstens der göttliche Zehnminüter "Forced Entry" ans Herz gelegt (), aber bitte nicht sauer (Zitronenlimonade!) sein, sollten infolgedessen barbusige Ameisenbärinnen spontan auf eine Runde lecker Pilz vorbeikommen wollen. Auf keinen Fall in die Wüste schicken, das muss so!
78. Arena - Immortal? (UK, 2000)
Eine repräsentative Umfrage innerhalb der Arena-Anhängerschaft würde wohl ergeben, dass "The Visitor" das Opus Magnum der britischen Neoprogger ist, und das wäre auch alles andere als eine schlechte Wahl, Platz 86 in dieser renommierten Liste ist ja im Grunde bereits ein kleiner Ritterschlag. Für meine bescheidenen Ohren jedoch ist der im Folgenden zu preisende Nachfolger schon immer das minimal stärkere Album gewesen, und das hat mehrere Gründe, bei Lichte betrachtet in erster Linie drei: Da wäre zum einen die düstere, fast schon klaustrophobische Atmosphäre, die sich durch das gesamte Album einschließlich des verstörenden, an David Finchers "Sieben" erinnernden Hugh-Syme-Artworks zieht (lediglich Song Nr. 2, "Waiting for the Flood", lässt für einen kurzen Moment die Sonne durch die unheilsschwangeren Wolken blitzen). Zum anderen atmet gerade das erste Albumdrittel spürbar den Geist neuerer Savatage (innig geliebt, zumindest hier), insbesondere im knackigen, überraschend harten Opener "Chosen" sowie dem (auch textlich) überragenden Epos "The Butterfly Man" (
https://m.youtube.com/watch?v=eeoSnVaDSqs). Und dann wäre da noch "Moviedrome", ein knapp zwanzigminütiges, beinahe schon apokalyptisch anmutendes Urviech von Song, das den ihm schutzlos ausgelieferten Hörer emotional mehrfach komplett auf links und wieder zurück dreht (was zu einem wesentlichen Anteil auf die Kappe von Clive Nolans überirdischer Keyboardarbeit geht), und wenn die Scheibe schließlich zu den sanften, zur mentalen Erholung einladenden Klängen von "Friday's Dream" allmählich ihrem Ende entgegen rotiert, dämmert es einem zusehends, dass "Immortal!" wohl der angemessenere Albumtitel gewesen wäre.
77. Flying Colors - Second Nature (USA, 2014)
Manchmal sind bestimmte Alben untrennbar mit bestimmten prägenden Lebensphasen verbunden, und "Second Nature" ist genau ein solches Album. Es ist der Soundtrack der Schwangerschaft meiner Frau mit unserer ältesten Tochter, eine Zeit voller Hoffen, Bangen, aufgrund einschlägiger Vorerfahrungen ganz, ganz vorsichtiger Vorfreude, Angst vor der eigenen Courage, Respekt vor der anstehenden großen Aufgabe, die ganze Palette. Und immer, wenn dieses Album seinerzeit im Player seine Runden drehte (sehr oft im Auto), war da dieses Gefühl (von Gewissheit möchte ich nicht reden), dass am Ende irgendwie schon alles gut werden würde. Allerdings gab es da diesen einen Song, "Peaceful Harbor" (
https://m.youtube.com/watch?v=0G0v76OJahk), bei dem war öfters mal Skippen angesagt, zu dick aufgetragen, gerade im letzten Songdrittel, fast schon einzusortieren jenseits der Edelkitschdemarkationslinie, so mein, wie ich glaubte, wohlbegründetes Urteil. Dann jedoch kam der Tag bzw. die Nacht der Niederkunft, dat kleine Ella wurde geboren, und als ich schließlich kurz bevor der Morgen graute aus dem Krankenhaus nach Hause fuhr, spuckte die Zufallsplaylist meines Handys, genau, "Peaceful Harbor" aus, es folgten äußerst emotionale Minuten am Rande der B54, und das vorschnell gefällte Urteil wurde umgehend revidiert: Mittlerweile ist "Peaceful Harbor" eines der wichtigsten Mosaiksteinchen des Soundtracks meines Lebens, eine Beschreibung, die im Grunde auf das komplette Album ausgeweitet werden kann, auch wenn es objektiv betrachtet sicher deutlich stärkere Scheiben gibt, die teilweise sogar hinter "Second Nature" gelistet worden sind. Doch Herz und episodisches Gedächtnis hören bekanntlich stets mit (wie könnte es auch anders sein?), insofern haben wir es hier (subjektiv betrachtet) mit dem wohl schönsten Platz 77 aller Zeiten zu tun. Den beteiligen Herren McPherson, Morse, Morse (nicht verwandt, nicht verschwägert), LaRue und Portnoy gebührt mein allerherzlichster Dank!