So, viel um die Ohren gehabt die letzten Wochen und morgen geht's auch schon in den Urlaub, doch heute gibt's (endlich!) noch einmal frisches Futter...
40. Zero Hour - The Towers of Avarice (USA, 2001)
"I can set a flood in motion", so entlockt es Erik, der Übersänger, seiner Kehle im Rahmen des monumentalen, fast 16-minütigen Songungetüms "Demise and Vestige", und er hat fraglos recht: Die Endorphinausschüttung, die in des (zielgruppenzugehörigen!) Hörers Körper in Gang gesetzt wird, kommt durchaus flutwellengleich daher, was in erster Linie daran liegt, dass alle Zutaten, die man gemeinhin an dieser Spielart des Prog so schätzt, im wahren Überfluss vorhanden sind. Neben dem bereits erwähnten Göttergesang wären dies die grandios frickelige Gitarrenarbeit, die viel vom späten Schaffen des Chuck Schuldiner hat ("The Fragile Art of Perseverance", wenn man so will), die nicht minder famose Performance der Rhythmustruppe, die eingangs des damals noch jungen Jahrtausends neue Maßstäbe setzt, sowie natürlich die Songs selbst, die derart komplex sind, dass man während der ersten Spins hoffnungslos überfordert ist und dennoch gleichzeitig die Welt umarmen möchte ob der wunderbaren Stimulation jener Hirnregionen, die nur wenige Combos respektive Alben anzusprechen vermögen. Aber - und genau dieser Sachverhalt drückt das Album Richtung 10/10-Bereich - "The Towers of Avarice" trifft auch die leiseren Töne perfekt, etwa im treffend betitelten "Reflections", vor allem aber im phänomenalen Albumabschluss "The Ghosts of Dawn" (
https://m.youtube.com/watch?v=gXV-np-aqh0&pp=ygUcemVybyBob3VyIHRoZSBnaG9zdHMgb2YgZGF3bg==), ein fünfeinhalb Minuten messender reinrassiger Gänsehautgenerator: Zunächst ist es der mit maximaler Intensität vorgetragene Gesang, der für wohlige Schauer sorgt, dann dieses minimalistische und gerade deshalb unfassbar geniale Pianomotiv, das einen nachts noch in die abgründigsten Träume zu folgen vermag, und am Ende schließlich die Kombination aus eben diesen beiden Elementen und einem unheilschwangeren Synthesizerschwirren, welches die pure Bedrohlichkeit ausstrahlt und einem endgültig die Haare zu Berge stehen lässt. Danach verschwinden die Türme der Habsucht allmählich in der Ferne, doch die nächste Flutwelle wird kommen, sicher, ganz sicher...
39. Riverside - Second Life Syndrome (PL, 2005)
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Albums befand ich mich, man muss es so formulieren, in einer gar nicht mal so kleinen musikalischen Sinnkrise. So hatte ich als Folge einer allgemeinen Unlust auf Prog, Metal und Musik generell etwa den Release von Dream Theaters "Octavarium" glatt verpennt bzw. noch nicht einmal mitbekommen, dass meine (besonders damalige) große musikalische Liebe etwas Neues auf die Welt losgelassen hatte, aus heutiger Sicht undenkbar, geradezu ungeheuerlich. Hinzu kam, dass ich im September 2005 eine Stelle als Fremdsprachenassistent an einer Schule im südwestenglischen Torquay angetreten hatte, wo ich quasi musiklos vor mich hin vegetierte, ansonsten aber eine ziemlich gute Zeit hatte, Klippen, Strände, Moore, Pubs, Chicken Tikka Massala und so. Die Freundin (mittlerweile Frau) in der Heimat vermisste ich wohl, die Sammlung, die zu Hause vor sich hin staubte, nicht, zumindest nicht bewusst,
Prog off sozusagen. Dann jedoch stolperte ich über eine euphorische Rezension von Dickinsons Solowerk "Tyranny of Souls" (wovon ich natürlich ebenfalls nix mitbekommen hatte, aber warum beim Cruisen durchs Dartmoor nicht mal gepflegt Metal hören?), und um Porto beim großen Fluss zu sparen, wanderte in einer spontanen Laune auch "Second Life Syndrome" in den Warenkorb, welches mir zufällig auf der Amazon-Homepage angezeigt und von den Rezensenten dort fast schon marktschreierisch angepriesen wurde; nicht, dass mir die Band bekannt gewesen wäre, doch irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl bei der Sache, zurecht, wie sich zeigen sollte. Die Tyrannei der Seelen macht Laune ohne Ende, keine Frage, aber der eigentliche Glücksgriff an jenem Tag war das nah am Fließgewässer erbaute Zweitwerk, das mich bereits mit der Whispered-Word-Passage im Intro vollends am Wickel hatte. Und spätestens bei Erklingen des Titelsong (
https://m.youtube.com/watch?v=QLhLKLLJOnA&pp=ygUecml2ZXJzaWRlIHNlY29uZCBsaWZlIHN5bmRyb21l), eine der großartigsten musikalischen Sternviertelstunden der 2000er-Jahre, war die eingangs umrissene Krise im Grunde keine schwerwiegende mehr. Okay, bis zum Entfachen des ursprünglichen und mittlerweile heller denn je lodernden Feuers sollte es noch bis zur Rückkehr nach
Good Old Germany dauern, aber immerhin wurde noch auf der Insel "Octavarium" nachgekauft. Immerhin.
38. Civil Defiance - The Fishers for Souls (USA, 1996)
Zu diesem Meisterwerk wird es, genauso wie einst bei Spiral Architect, keinen Anspieltipp geben. Warum diesmal nicht? Nun, weil dieses Unterfangen schlicht und ergreifend sinnlos wäre, denn es gibt keinen, wirklich keinen einzigen Song, der das Album einigermaßen repräsentiert. Würde man etwa für den Quasi-Opener "Days of Rain" die Trommel rühren und auf dieses Weise Freunde von episch angehauchtem Alternative Rock mit Anspruch anfixen, so würde eben diese Zielgruppe wohl schon durch das sich anschließende latent thrashige "Death to the Clown", allerspätestens jedoch durch "Man on Fire", diese völlig sicke Kurzbewerbung auf die Watchtower-Nachfolgestelle (man ist fast geneigt, nun doch einen Anspieltipp da zu lassen, denn das Teil muss man eigentlich gehört haben...) mit voller Wucht vor den Kopf gestoßen werden. Wenig überraschend wird diese Bewerbung dann auch mit dem sich anschließenden "A Dry White Season", einer sparsam instrumentierten, im Grunde lupenreinen Jazznummer mit herausragender Gesangsmelodie und noch herausragenderem Piano, auf denkbar krasseste Weise wieder zurückgezogen. Die nächsten beiden Streiche ("Faith" und "Dreams Die Fast") bewegen sich dann, obwohl grundsätzlich grundverschieden, wieder annähernd im Fahrwasser des Openers, zeichnen sich beide durch herausragende Refrains aus und kommen so dem Begriff "Hit" so nahe, wie man ihm in diesem Genre (was auch immer es sein mag) nur kommen kann. Zum Abschluss bewegt der kontemplativ-traurige Mann im Mond des Herz und hat einen erheblichen Anteil daran, dass die Seelenfischer nach Verklingen des letzten Tones noch lange nachwirken. Der
man on fire scheint nun sehr weit weg - doch sind es in Wahrheit nur rund 23 Albumminuten eines ganz und gar einzigartigen Werkes, das man, dies dürfte sich von selbst verstehen, gefälligst am Stück und nicht geschnitten zu konsumieren hat, so etwa hier:
https://civildefiance.bandcamp.com/album/the-fishers-for-souls.